Endlich ganz bei mir

„Wer einsam ist, der hat es gut, weil keiner da ist, der ihm was tut.“ (Wilhelm Busch) Ganz so einfach ist es vermutlich nicht. Aber im Ernst: Warum haben Menschen denn den Drang, sich zurückzuziehen, einfach nur einmal „weg“ zu sein? Die einen begeben sich, allein und zu Fuß, auf Pilgerschaft. Andere träumen von der einsamen Insel. Wieder andere ziehen sich für ein paar Wochen in ein Kloster zurück. Kleine, zeitweise Fluchten: sich herausziehen aus der durchorganisierten, getakteten Welt, in der alles schon längst von anderen bestimmt und vorgegeben ist, die Ziele, die Termine, die Pflichten. Ohne äußeren Druck das tun, was mir selber guttut, einmal nichts geben müssen, sondern einfach nur da sein. Endlich in Ruhe, endlich ganz bei mir. Das kann eine tiefe Sinn- und Glückserfahrung sein.

Manche suchen sie, viele fürchten sie. Einsamkeit ist eine besondere Erfahrung. Aber sie ist auch eine Grundgegebenheit. Sie begleitet uns ein Leben lang bis zum Ende. Ganz entkommen wir ihr nie. Wir leben von Anfang an immer in Beziehung, ja wir verdanken unser Leben einer Beziehung. Aber wir sind immer auch Einzelne, bis zum letzten Schritt aus diesem Leben heraus, den wir, auch wenn wir von Menschen umgeben und begleitet sind, schließlich doch allein gehen müssen.

Überraschenderweise sagt der Philosoph Odo Marquard: Nicht die Einsamkeit, sondern die Unfähigkeit zur Einsamkeit ist das eigentliche Problem. Und die amerikanische Soziologin Sherry Turkle bringt die Situation der total vernetzten und immerzu kommunizierenden, chattenden, telefonierenden, mailenden, twitternden Facebookgeneration auf das paradoxe Bild: „Verloren unter hundert Freunden“. Jugendliche geraten in Panik, wenn sie ihr Smartphone vergessen haben. Sie fühlen sich dann wie amputiert. Sie spüren sich selbst nicht mehr, wenn sie nicht in ständigem Kontakt mit anderen stehen – und isolieren sich dadurch nur umso mehr. Warum?

Die Antwort von Turkle: „Weil man damit die Fähigkeit zum Alleinsein verliert. Erst das Alleinsein ermöglicht, sich selber zu finden und mit anderen eine Bindung einzugehen. Können wir das nicht, wenden wir uns den anderen zu, um uns nicht zu ängstigen, ja um uns überhaupt erst lebendig zu fühlen. Die anderen werden zu einer Art Ersatz- teillager für das, was uns fehlt.“ Wir leben von Anerkennung, Vertrauen, Zuwendung, Wertschätzung und dem Gefühl der Bestätigung durch andere. Wir brauchen die anderen, damit wir zu uns kommen. Wir brauchen aber auch die Fähigkeit zur Selbstreflexion, zur Begegnung mit uns selber, um gemeinschaftsfähig zu werden. Nur wer in sich steht, ist auch zu wirklicher Gemeinschaft fähig.

Mit Einsamkeit umzugehen, ist nicht immer das reine Vergnügen. Karl Valentin sagt: „Ich bin in mich gegangen, aber da war auch nichts los.“ Das auszuhalten, – Langeweile, eigene Ängste, die eigenen Abgründe, die innere Unruhe – das will geübt und gelernt sein. Sich selber zu begegnen, innere und äußere Stille zu ertragen, sich der eigenen Wahrheit zu stellen ist eine Voraussetzung, um mit sich selber in Verbundenheit zu kommen. Den Abgrund, der uns von uns selber trennt, können wir nur dadurch überwinden, dass wir die Einsamkeitsfähigkeit lernen.

Neu ist das alles nicht. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die alten Mönche, die vor dem Lärm und Trubel ihrer Welt und auf der Suche nach Gott in die Wüste flohen. Dort suchten sie ihr Heil. Sie berichten: „Meine Zelle hat mich alles gelehrt.“

Wir sind auf andere bezogen und doch besonders und einmalig: Die Beziehung zu uns selbst ist eine schöpferische Kraft für die Beziehung mit anderen. Einsamkeitsfähigkeit ist also eine Voraussetzung zum Glück.

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