Eine Erfolgsgeschichte
Dort auf der rechten Rheinseite, ober-halb der Feste Ehrenbreitstein bei Koblenz, hat man tagsüber von der Ter-rasse, die die Kapelle des Gästehauses von Kloster Arenberg auf zwei Seiten umsäumt, den Blick frei ins Rheintal, in die Eifel und den Westerwald – den Blick in die Weite. Die Menschen kommen vielleicht, weil gerade das ihnen an Leib und Seele guttut. Das Gästehaus: ein Haus mit 100 Betten und einer durchschnittlichen Auslastung von 72 Prozent übers Jahr. Durch-schnittliche Verweildauer vier Tage. Vor zwölf Jahren stand das Haus, von den Schwestern als Kneippsanatorium betrieben, vor der Entscheidung: Mittelfristig schließen? Oder unter ganz neuen Vorzeichen weitermachen?
Die Zukunft gehört dem Ganzheitsdenken
65 Schwestern leben heute noch im Arenberger Mutterhaus. Durchschnitts-alter 76 Jahre. Sie hatten den Vorzug einer großen Gesundheitstradition. Und sie waren immer schon mutig. Die Ordensgründerin hatte schon vor über 100 Jahren eine GmbH gegründet, in Koblenz. Jetzt fragte sich die Gemeinschaft: „Was würde die Gründerin wollen – hier und heute?“ Die Ordensleitung holte Laien ins Boot, suchte Mitstreiter im weltlichen Bereich. 2001 brachten sie alles auf den kreativen Null-punkt: der Anfang eines Prozesses, der bis heute andauert. Ein Team aus Schwestern, auch vielen älteren, und Laienmitarbeitern entwickelte ein Zukunftskonzept für das Gästehaus Kloster Arenberg. Es knüpft an das Ganzheitsverständnis von Pfarrer Sebastian Kneipp an, erweitert es aber. Geschäftsführer Bernhard Grunau schwärmt von seinem Team: „Wir haben uns miteinander und aneinander entwickelt.“ Grunau, ein ehemaliger Offizier, der auch Betriebswirtschaft studierte, lernte aus der Begegnung mit den Arenberger Dominikanerinnen auch für sich sehr viel. Er zitiert, dem Sinn nach, Heinrich Spaemann: „Was du denkst, das prägt dich. Worauf du schaust, da hinein wirst du verwandelt.“
Erholen. Begegnen. Heilen
Das neue inhaltliche Konzept steht unter dem Motto: Erholen. Begegnen. Heilen. Bewusst in dieser Reihenfolge. Ein sehr offenes Gesundheitskonzept also. Offenheit und Freiheit sind ganz wichtig: Klares christliches Profil durch die klösterliche Einbindung auf der einen Seite – aber die Menschen dort abholen, wo sie stehen. „Schon bei Kneipp ging es um den ganzen Menschen. Wir schauen also darauf, in welcher Situation die Menschen heute im Alltag stecken, die Probleme, die sie zu schultern haben, die Bedürfnisse, die da entstehen: nach einem heilsamen Raum, nach Stille, nach Bewegung, da-nach, aktiv etwas für die Gesundheit zu tun. Das grenzen wir nicht streng ab von Spiritualität. Der Gast kann aus seiner konkreten Situation heraus sagen, was ihm guttut – und wenn er auch gar nichts macht. Auch über den Leib wollen wir den Menschen erreichen.“ Dem dient alles: auch die große Park-landschaft mit Kräutergarten und Teehaus, ein Vitalzentrum mit Kneippbädern, Körperschall- und Lichttherapie, Fitnesskursen, Fango, Massage, Fuß-pflege (bewusst keine kosmetischen Anwendungen), Krankengymnastik, Aquafitness, Minigolfanlage, Klostercafé, Klosterladen mit Produkten aus eigener Herstellung, Innenhöfe, Bibliothek, Meditationsraum, Raum der Stille und Gästekapelle stehen den Gästen offen. Ein Raum der Einladung.
Keine Berührungsängste
Die Inspiration aus der östlichen Über-lieferung ist deutlich: mit Kräutern, Rosenwasser, Qigong oder Shiatsu. Ist das nicht zu exotisch? Grunau: „Das sind Zugänge für den Leib, die, wenn nicht explizit christlich, zumindest weltanschaulich neutral sind.“ Die Pflanzen-heilkunde ist wichtig. Schon Kneipp kannte ja die Phytotherapie – das gehört zum ökologischen Aspekt. Man baut eigenen Kräutertee an. Es gibt Photovoltaikanlagen, eine Nutzung des Regenwassers. Der Klosterpark macht Schönheit und Vielfalt der Schöpfung erfahrbar. Da ist ein Feuchtbiotop, es gibt Bienenstöcke, ein Insektenhotel, Kaninchengehege, Schafe, viele Vogelarten, und neben den zahlreichen Heilpflanzen auch Wildobststräucher und Obstbäume. Besonders die Schafe sind eine Attraktion. Denn sie halten nicht nur auf ökologische Weise das Gras kurz. Schafe ruhen auch in sich, sie freuen sich, wenn man ihnen zusieht, sind mit sich selbst zufrieden. Das wollen manche der Gäste erst für sich hinkriegen.
Unsere Klagemauer
Und noch etwas fällt im Klosterpark auf: eine Mauer, aus Natursteinen aufgeschichtet, mitten im großen Gar-ten. Was hat es damit auf sich? Grunau nennt sie „unsere Klagemauer“ und erklärt den Zusammenhang: „Unsere Seelsorger raten den Menschen manchmal, etwas loszulassen, etwas wegzulegen – wie einen belastenden Stein. Wir hörten von dem Film ‚Die Bienenhüterin’, der 2008 in die Kinos kam: Eine Schwarze, der es wirklich nicht gut geht, baut sich da in ihrem Garten eine Mauer, die Halt und Trost ist. Und dann ist die Mauer auch ein Ort für Kleinstlebewesen. Wir haben also beides verbunden, den spirituellen und den ökologischen Aspekt.“ Die Mauer ist 10 Meter lang, 1,50 Meter hoch, nach alter Handwerkstradition errichtet. Sie wird intensiv genutzt: In die Ritzen zwischen den Steinen legen die Gäste ihre Zettel ab – wie bei dem großen Vorbild in Jerusalem. In der Osternacht werden diese Zettel dann symbolisch dem Feuer übergeben.
Der Köder muss dem Fisch schmecken
Was suchen die Gäste, was schätzen sie am meisten? Grunau beschreibt seine Priorität so: „Die Offenheit eines religiösen Raums, wir vereinnahmen keinen, – und werden trotzdem als authentisch empfunden. Kirche wird hier anders erfahren. Die Impulse am Morgen und am Abend sind die Perlen unseres An-gebots. Da reicht die Kapelle manch-mal nicht aus. Die Gäste können das in ihrem Alltag wirken lassen – etwa indem sie in einen Frühstücksraum gehen, wo das im Schweigen nachklingen kann.“ Die Angebote für die Seele und den Leib greifen ineinander, ergänzen sich, das ist vielleicht das Besondere. Die klösterliche Atmosphäre ist präsent, aber unaufdringlich. Die Gäste können z.B. am Stundengebet und Gottesdienst der Schwestern teilnehmen. Vier Seelsorger bieten Impulse, Meditationen, Gesprächskreise an, auch persönliche Gespräche, zu denen man sich jeweils eine Stunde Zeit nimmt. Ein so-genanntes „Versöhnungsbuch“ liegt in der Kapelle aus. „Ein Wunder, was da zur Sprache kommt“, sagt Grunau. „Da brechen Prozesse auf, Dinge kommen zur Sprache, bei denen viele gar nicht vermutet hätten, dass sie überhaupt da-nach suchen.“ Und er setzt nach: „Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler. Das hat unsere Kirche oft vergessen, teils noch nicht begriffen.“
Wer kommt?
Spiritualität nimmt hier die Belastungen und Nöte der Menschen ernst. „Es ist uns egal, ob jemand geschieden wiederverheiratet ist, ob ein unverheiratetes oder ein gleichgeschlechtliches Paar herkommt. Es geht uns um den Menschen. Wir haben nicht zu richten, sondern die frohe Botschaft zu verkünden. Wenn wir es schaffen, Menschen auf-zurichten, haben wir unseren Auftrag erfüllt.“ Was sind die Zielgruppen? In der Regel nicht die Zwanzigjährigen, sondern Menschen ab 25, nach oben offen. Natürlich gibt es auch materielle Grenzen. „Wir müssen uns komplett selbst finanzieren. Es gibt weder Kirchensteuer noch Zuwendungen. Wir müssen 85 Mitarbeiter fair bezahlen und kalkulieren unsere Preise als gemeinnützige Einrichtung, aber ‚billig’, das geht nicht bei diesem Angebot. Wir lehnen aber keinen Gast ab, der aus materiellen Gründen nicht kommen könnte. Da gibt es einen Solidaritätsfond, der durch Gäste getragen wird. Wir haben seit drei Jahren keinen mehr ablehnen müssen, der es sich finanziell nicht leisten konnte, einen Aufenthalt von in der Regel drei Übernachtungen zu bezahlen.“
Das macht den Unterschied
Was ist der Unterschied zum Angebot der Gesundheitskonzerne und Luxus- Spa-Hotels? Dort, so Grunau, lässt man sich drei Tage verwöhnen, ablenken und ist dann wieder im Alltag. „Wir hier haben keine Luxuszimmer und kein Luxusschwimmbad. Aber alles, was wir haben, ist schön. Einfach, aber nicht spartanisch. Es gibt keine Seife in den Gästezimmern, aber eine angenehme Atmosphäre bis hinein in die Farb-gestaltung.“ Und weiter: „Nachhaltigkeit – darum geht es uns. Anregen, herausfordern, nicht animieren oder unterhalten. Nicht Kosmetik, sondern innere Schönheit. Das andere können Hotels gerne machen.“ Anfänglich wurde die Initiative im kirchlichen Rahmen sehr kritisch beobachtet und hinterfragt: Was machen die da? Wohin bewegen sie sich? Inzwischen kommen auch Ordensobere hier-her, die begeistert sind von dem Konzept.
Ein heilsames Wagnis
Es muss ein Wunder passieren, sagen manche, die die Überalterung der Klöster, den fehlenden Nachwuchs beklagen. Aber es gibt sie, diese Wunder. Und eines hat mit dem Gesundungs-prozess eines Hauses zu tun, das sich gerade der ganzheitlichen Gesundheit verschrieben hat. „Wieso sind nicht mehr Klöster auf die Idee gekommen, etwas Ähnliches zu machen?“, frage ich Grunau. Er überlegt: „Ich glaube, viele sind zu spät. Wenn die Schwestern hier noch fünf Jahre gewartet hätten, hätten sie nicht mehr den Mut gehabt zu diesem Aufbruch. Dann kam die Finanzkrise, es wurde auch psychologisch schwerer. Es bedeutete für die Ordensgemeinschaft auch: Loslassen. Nicht alle können das und nicht alle haben die Offenheit dafür. Und sie waren auch mutig, indem sie sagten: Wir machen das mit Laienmitarbeitern und so haben alle Lebenswelten mit drin.“ Für die Gesundheit der an-deren zu sorgen – also auch ein heilsamer Weg für eine alte Institution, sich zu erneuern!