Sich einlassen auf die Wirklichkeit
Viele fühlen sich mit ihrer Haltung gegenüber der Geduld dem Goetheschen Faust verwandt, der sich gegen alles Vorgegebene empört mit den Worten: „Fluch vor allem der Geduld“. Der Theologe und Religionsphilosoph Romano Guardini nennt Faust den „Ewig-Unerwachsenen“. Er nimmt die Wirklichkeit nicht so, wie sie ist. „Immer steht er im Protest gegen das Schicksal, während doch die Reife des Menschen damit anfängt, dass er das, was ist, annimmt. Daraus kommt ihm erst die Kraft, es zu ändern und zu formen.“ (Guardini, Tugenden 44) Der ungeduldige Faust – so Guardini – ist „ein Phantast, der nie erwachsen wird“. Zum Erwachsensein, zum Reifsein gehört die Geduld mit der Wirklichkeit. Nur so kann sich die Wirklichkeit wandeln. Geduld ist das Annehmen und Aushalten der Wirklichkeit. Am geduldigen Annehmen der Realität reife ich zu dem einmaligen Menschen, als den Gott mich geschaffen hat. Wir möchten gerne unsere Selbstwerdung ohne die Realität unserer Lebenssituation oder unserer Umwelt erreichen. Doch es geht nur durch das geduldige Sicheinlassen auf die Wirklichkeit, die uns vorgegeben ist. Und es geht um die Verwandlung unserer Wirklichkeit: dass sie mehr und mehr vom Geist Gottes durchdrungen wird.
Aktives Widerstehen
Geduld beginnt damit, dass ich mit der Wirklichkeit Geduld habe, so wie ich sie vorfinde. Erst wenn ich sie annehme, kann ich sie ändern. Das griechische Wort für Geduld heißt „hypomone“, das meint: drunterbleiben, standhalten. Geduld ist die Kraft, einer schwierigen Situation standzuhalten, anstatt gleich aufzugeben. Wir verstehen unter Geduld oft den geduldig Leidenden: Er bäumt sich nicht auf, er nimmt alles an. Das mag im lateinischen Wort für Geduld – „patientia“ – anklingen. Geduld ist eine Kraft, die dem Leiden standhält, die es trägt. Nur so kann es sich wandeln. Geduld ist also nicht etwas rein Passives und sie kann sogar ein aktives Widerstehen bedeuten: Ich gebe so lange nicht nach, bis sich die Wirklichkeit ändert.
Geduldig mit anderen
Geduld zu haben, heißt vor allem, Geduld mit den Menschen zu haben. Väter und Mütter, die keine Geduld mit den Kindern haben, sind keine guten Erzieher. Es braucht Geduld, damit die Kinder in die Gestalt hineinwachsen, die ihnen entspricht. Und wir brauchen Geduld mit den Menschen, mit denen wir zusammenleben. Wir meinen, sie müssten doch endlich das leben, was sie uns versprechen. Doch sie bleiben immer zurück. Geduld und Hoffnung gehören zusammen. Ich habe Geduld mit dem anderen, weil ich darauf hoffe, dass das, was ich noch nicht an ihm sehe, irgendwann einmal zur Entfaltung kommen wird. Paulus hat im Römerbrief die Verbindung so gesehen: „Bedrängnis bewirkt Geduld, Geduld aber Bewährung, Bewährung Hoffnung. Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen.“ (Röm 5,3-5) Diese Worte zeigen, dass Paulus in der Geduld eine Kraft gesehen hat, die uns befähigt, durch Bedrängnisse, in die wir durch Menschen geraten, hindurchzugelangen und die Hoffnung nie aufzugeben. Es gibt kein Zusammenleben ohne Geduld. Das gilt für die Ehe genauso wie für eine klösterliche Gemeinschaft. Der hl. Benedikt fordert daher die Mönche auf: „Ihre körperlichen und charakterlichen Schwächen sollen sie mit unerschöpflicher Geduld ertragen.“ (RB 72,5) Natürlich heißt das nicht, dass die Mönche nicht bestrebt sein sollen, auf dem spirituellen Weg auch menschlich zu reifen. Aber bei allem Bemühen bleibt immer noch die Durchschnittlichkeit des einzelnen. Und eine Gemeinschaft hält es nur miteinander aus, wenn sie diese gegenseitige Geduld übt.
Geduldig mit mir selbst
Geduld mit den anderen kann ich nur haben, wenn ich auch mit mir selbst geduldig bin. Viele Menschen sind ungeduldig mit sich. Sie haben schon so oft versucht, ihre Empfindlichkeit zu überwinden, ihre Unbeherrschtheit abzulegen. Aber immer wieder reagieren sie auf Kritik empfindlich. Und immer wieder platzt ihnen der Kragen. Danach tut es ihnen leid. Aber sie können es einfach nicht abstellen. Da werden sie oft ärgerlich und ungeduldig. Sie meinen, die Fehler müsse man doch einfach abstreifen können. Doch häufig steckt hinter dieser Ungeduld die Weigerung, sich selbst anzunehmen mit seinen Fehlern und Schwächen. Die Kirchenväter sagen: Nur was ich angenommen habe, kann ich verwandeln. Hinter der Ungeduld steckt also oft die Unfähigkeit, sich selbst zu akzeptieren. Sich selbst zu akzeptieren, heißt nicht, dass ich immer so bleibe und nichts an mir ändern kann. Ich kann etwas ändern, aber nur wenn ich die Demut aufbringe, mich so anzunehmen, wie ich bin. Und wenn ich in Geduld immer wieder ertrage, dass ich meine Fehler nicht einfach ablegen kann wie ein schmutziges Kleid. Es braucht Geduld, zu erleben, dass die heiligsten Vorsätze in kurzer Zeit durch die Realität meiner eigenen Begrenzung außer Kraft gesetzt werden können.
Immer wieder aufstehen
Immer wieder braucht es Geduld, von Neuem anzufangen, nicht aufzugeben und auf diese Weise langsam weiterzuwachsen in die Reife hinein, die Gott mir zugedacht hat. Der Barocklyriker und Theologe Angelus Silesius mahnt zur Geduld mit uns selbst: „Freund, habe doch Geduld; wer für dem Herrn soll stehn, der muss vor vierzig Jahr in der Versuchung gehen.“ Angelus Silesius hat offensichtlich erfahren, dass die Ruhe vor Gott nicht durch ein kurzes Innehalten zu erreichen ist. Vierzig Jahre lang müssen wir in der Versuchung unseren Weg gehen. Wir werden immer wieder angefochten, wir fallen und stehen auf. Dann stehen wir in Ruhe vor Gott. Doch sobald wir weitergehen, geht es weiter mit dem Fallen und Aufstehen, bis wir im Tod für immer in Gott zur Ruhe kommen und vor ihm stehen werden.