In der Ruhe blüht das Leben

Von dem berühmten Philosophen Immanuel Kant weiß man, dass er sich vom Krähen des Hahns auf dem Hof des Nachbarn so beim Nachdenken gestört fühlte, dass er ihm das Tier abkaufte. Um ganz sicherzugehen, ließ er es im Suppentopf enden. Eine Reaktion, die gewiss nicht zur allgemeinen Maxime taugt.

Aber ehrlich: Wer hat sich nicht schon über die Dauerbeschallung in einem Res­taurant oder einem Kaufhaus geärgert? Oder über einen tropfenden Wasserhahn?

Doch es gibt auch andere: Menschen, die mit permanenter Hintergrundmusik fröh­lich leben und die Stille noch weniger ertragen als den tropfenden Wasserhahn.

Beides ist schwer auszuhalten: Permanenter Lärm und ständige Hektik ebenso wie die Stille. Denn auch vor zu viel Stille fürchten sich die Menschen. Ruhe und Stille haben bei uns nicht nur gute Karten. Schon an den Worten merkt man das: „Stillstand“ ist weder in der Wirtschaft angesagt, noch in der persönlichen Ent­wicklung als Wert anerkannt. Und liest man nicht immer wieder auch von Men­schen, die einen Pensionierungsschock erleiden, weil sie mit dem „Ruhestand“ nicht recht umgehen können?

Warum haben wir Angst vor der Stille? C.G. Jung hat eine Erklärung: „In der Stille würde die Angst den Menschen zum Nachdenken veranlassen, und es ist gar nicht abzusehen, was einem da alles zum Bewusstsein käme… Das Bedürfnis nach Ge­räusch ist beinahe unersättlich.“ Hinter dem Lärm lauert immer die Unruhe der Seele und die Angst vor der Ungesichertheit unseres Lebens. Das Wort Lärm kommt von italienisch „all`arme“, zu den Waffen. Aber wir können und wollen nicht immer alarmbereit sein.

Das Bedürfnis nach Ruhe und Stille ist nicht weniger tief, aber in unserer lärmigen, unruhigen Welt nicht so leicht zu befriedigen. Viele suchen daher die Ruhe eines Klosters oder die Stille eines Retreats, um zu sich zu kommen.

Es geht jedoch darum, auch im Alltag die lebendige Stille in sich selber zu entdecken, als einen Anker, der uns im Hier und Jetzt gegenwärtig und lebendig sein lässt und die inne­re Ruhe als einen Ort zu pflegen, an den wir immer wieder zurückkehren können. Die Kunst besteht darin, mitten in der Aktivität aus der inneren Ruhe heraus zu wirken. Und in der Ruhe gerade lebendig zu bleiben.

Bei einer Studie an der Washington University of Medicine in St. Louis zeigte sich: Gerade der Ruhezustand des Gehirns ist sehr energieintensiv und zwar deswegen, weil er eine wichtige Funktion hat. Ruhezustände im Gehirn stellen, so die Forscher, ein modellhaftes Wissen von der Welt bereit und bereiten auf zukünftige Ereignisse vor. Gerade die Ruhe­aktivität des Gehirns liegt also allen möglichen Beziehungen zwischen einem Ich und der Welt zugrunde und hilft uns, die Welt richtig zu sehen und uns in ihr zu bewegen. Wir sollten also schon deshalb zwischendurch die Ruhe und die Stille suchen und auch die ständigen inneren gedanklichen Umtriebe zwischendurch einfach einmal sein lassen.

Die Wege zur inneren Ruhe sind also gleichzeitig Wege zu mehr Lebendigkeit. Auch wo äußerlich scheinbar nichts pas­siert, ist Leben. Wir kennen das aus der Musik. Musik ohne Pausen wäre keine Musik. Ruhe, das ist nicht Langeweile, nicht Stillstand. In der inneren Ruhe liegt Kraft, die Bewe­gung der Welt, die Melodie des Lebens, der Ausdruck von Lebensfreude. Was ist bewegter und lebendiger als ein Wie­ner Walzer! „Der Schwung kommt aus der Bewegung der Ruhe“, das hat der Walzerkönig Johann Strauß seinen Mu­sikern einmal als Vorgabe gemacht. Eine gute Maxime für Lebenskünstler. In der Ruhe blüht das Leben.

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