Tanja Hollander ist Amerikanerin, zu Hause in Maine, Fotografin von Beruf, jung, vernetzt, mit vielen Bekannten, weltweit. Natürlich ist sie auf Facebook. Sie chattet mit ihrem Kollegen in Afghanistan, hält Kontakt mit Studienfreundinnen in Jakarta, Paris oder in Griechenland. Exakt 626 Freunde hatte sie auf Facebook, als sie sich zu einem Experiment entschloss. Sie wollte es jetzt wissen: „Are you really my friend. Bist du wirklich mein Freund?“ So nannte sie ihre Aktion. Sie wollte einfach einmal hinfahren, sich mit den Leuten wirklich treffen, mit ihnen Zeit verbringen – und herauskriegen, was Freundschaft ausmacht: ein spannendes Experiment. Im Zeitalter von Facebook habe das Wort „Freund“ eine neue, virtuelle Bedeutung bekommen, sagt sie. Aber irgendwann passte das nicht mehr zu dem, was Tanja Hollander unter Freundschaft verstand – und was man in aller Regel darunter versteht: dass da mehr ist als ein Bekannter aus der „Clique“ im technischen Netzwerk, der sich durch einen Klick zu uns gesellt und sich dann „befreundet“ nennt.
Freunde, das sind reale Menschen, mit denen man sich trifft, mit denen man gemeinsam feiert, isst und trinkt und diskutiert, bis in die frühen Morgenstunden hinein, Menschen, die man auch nachts anrufen kann, wenn es einem mal schlecht geht, und die dann vielleicht auch vorbeikommen und einen trösten. Freundschaften fallen einem nicht in den Schoß – sie brauchen Zeit und Pflege, in Realzeit und „face to face“. Einer kann 500 „Freunde“ haben, aber keinen einzigen Freund.
Was macht echte Freundschaft aus? Tanja Hollander klappert derzeit ihre Facebookbekanntschaften ab, um das herauszubekommen. Sie traf sich mit denen, die sie bislang nicht persönlich kannte – und machte Erfahrungen, die man nicht in der virtuellen Welt, nur in der Realität machen kann: Vertrauen, Freundlichkeit, Großzügigkeit sind keine Seltenheit, und das Netz der Beziehungen wird tragfähiger, engmaschiger, wenn man Ja sagt zu anderen. „Schön, dass du da bist, komm rein!“, eine Erfahrung, die man eben nur macht, wenn man die virtuelle Realität verlässt und sich einlässt. Und sie hat Menschen befragt, was sie unter Freundschaft verstehen. Da hat sie Dinge gehört, die nicht gerade neu sind: „Ein Freund weiß, was du sagen willst, bevor du es aussprichst.“ Aber auch merkwürdigere Sätze wie: „Ein Freund löscht sofort deine Festplatte, wenn du stirbst!“
Auf Nachfragen sagt sie aber auch: Es gibt natürlich unterschiedliche „levels“ von Freundschaftsbeziehung, und die engen Freunde bleiben natürlich die engen Freunde. Und für wirkliche Freunde bestimmte Informationen würde sie auch nie auf Facebook kommunizieren. Aber das wusste man ja schon immer: Es gibt „Freunde“ und „gute Freunde“. Und daneben noch Geschäftsfreunde, Sportfreunde, Parteifreunde, Wanderfreunde u.s.w.
Wirkliche Freunde seien Gottes Entschuldigung für die Familie, hat einmal jemand gesagt. Freunde sind frei gewählt, nicht naturgegeben. Aber gemeinsam haben sie, im besten Fall, doch etwas mit der Familie: Sie ermöglichen Intimität, Vertrautheit. Heimat. Bei Freunden muss ich keine Rolle spielen, ich darf sein wie ich bin. Sie hören nicht nur, was sie hören wollen, sondern, was ich sagen will. Sie sagen mir die unangenehme Wahrheit, wenn es nötig ist. Jeder braucht das. Nicht nur in der Not erkennt man sie, auch in guten Tagen. Sie beneiden uns nicht ums Glück und freuen sich ehrlich mit uns mit.
Wie kommen Freundschaften zustande? Das lässt sich nicht rational erklären. Wie halten sie? Indem man sie pflegt, ihnen Zeit gibt, sie mit Leben füllt. Freundschaft ist ein Tätigkeitswort.
Tanja Hollander hat all ihre Besuche im Internet dokumentiert. Sie hat viel über Beziehungen gelernt, aber auch darüber, was das Besondere ist an der Freundschaft. Sie plant über ihre Erfahrungen eine Ausstellung und auch ein Buch. Eine richtige Ausstellung, in einem richtigen Museum, mit den Fotos, die sie bei ihren Besuchen gemacht hat. Und ein richtiges Buch aus Papier, zum Anfassen und Reinblättern. Freundschaft ist eben nichts Virtuelles. Sie ist real.