Christus als Ziel und Erfüllung
Der Hintergrund dieser Worte ist die Vergangenheit des Paulus, der in seiner Jugend einen großen Ehrgeiz hatte, alle Vorschriften des Gesetzes einzuhalten. Jetzt, nachdem er Christus erfahren hat als den, der sich für ihn hingegeben hat, hält er seinen ganzen Ehrgeiz für Mist, Kehricht, Unrat. Er greift mit diesem Bild einen damals in Griechenland verbreiteten „Slogan“ auf. Der griechische Dichter Plautus sagte von einem Liebhaber, er würde seine Habe als Mist ansehen, wenn er sie mit der Geliebten vergleiche. An die Stelle der geliebten Frau tritt für Paulus Jesus Christus. Der erfüllt seine Sehnsucht, so wie eine Geliebte die Sehnsucht des Liebhabers stillt. In Christus zu sein, in inniger Gemeinschaft mit ihm, ist das Ziel von Paulus‘ Streben. Was er aufgegeben hat, nennt er die Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt. Man könnte sagen: Es ist die eigene Leistung, auf die er gebaut hat, mit der er die Zuwendung und Bestätigung durch Gott erkaufen wollte. Er wollte sich vor Gott beweisen, wollte beweisen, dass er die Gebote erfüllen kann. Gott bleibt dann gar nichts anderes übrig, als ihn zu belohnen. Bei diesem religiösen Konzept geht es nur um das eigene Selbstbild, um das Bild eines in sich richtigen und gerechten Menschen. Das ist für Paulus nun nichts mehr wert. Jetzt geht es ihm um die Gerechtigkeit, die aus dem Glauben an Christus kommt.
Wie sollen wir das heute verstehen?
Entscheidend für mich ist die Erfahrung bedingungsloser Liebe. Weil Gott mich bedingungslos liebt – und das hat er mir am Kreuz Jesu gezeigt –, muss ich weder vor Gott noch vor anderen Menschen meinen Wert beweisen. Am Kreuz, so die Erfahrung des Paulus, hat Christus das religiöse Leistungskonzept durchgestrichen. Gott, der den gekreuzigten Jesus auferweckt hat, ist für Paulus ein Zeichen dafür, dass Gott auch das, was in uns tot und erstarrt ist, zum Leben auferwecken kann, allein aufgrund seiner Gnade. Tod und Auferstehung Jesu sind für Paulus Beweise, dass Gott alles in uns zu verwandeln, dass er alles in uns richtig zu machen vermag. Das ist eine überwältigende Erfahrung, die Paulus‘ bisheriges Lebensgebäude umwirft, eine neue Erfahrung, für die er nicht genug danken kann. Wenn wir das auf unseren Alltag beziehen, so heißt es: Wir müssen uns weder vor Gott noch vor den Menschen beweisen. Wir sind bedingungslos geliebt. Wir brauchen kein strahlendes Ich aufzubauen, das überall imponieren möchte. Wir dürfen ganz wir selbst sein, mit unseren Schattenseiten und Schwächen. Wir dürfen alles in uns anschauen, weil wir bedingungslos geliebt sind. Eine solche Sicht führt zu einem gelassenen Dasein voll innerer Freiheit.