LebensthemaMit dem Ohr des Herzens

Der hl. Benedikt beginnt seine Regel mit den Worten: „Höre, mein Sohn, auf die Weisung des Meisters, neige das Ohr deines Herzens, nimm den Zuspruch des gütigen Vaters willig an und erfülle ihn durch die Tat!“ (RB Prolog 1) Der Mönch soll also wesentlich ein Hörender, ein Horchender sein. Er soll auf das Wort Jesu hören. Bewusstes Hören zeichnet unser Menschsein aus.

Mit dem Ohr des Herzens
Hören ist Nahrung für die Seele. Ich kann die verborgene Harmonie in allem er-hören.© Gry Thunes - fotolia.com

Anteilnehmen an der Welt

Das Hören führt nach der Einsicht des hl. Benedikt nicht nur zum Gehorsam. Es führt auch zur Zugehörigkeit. Indem ich auf das Wort Jesu höre, fühle ich mich ihm zugehörig. Aber wir sollen dann auch reagieren und in die Tat umsetzen, was wir hören. In der jüdischen Theologie war das Hören auf das Wort Gottes sogar der Mittelpunkt des Glaubens. Gott ist für die Juden vor allem der, der immer wieder in der Geschichte zu seinem Volk und zu einzelnen Menschen spricht. Und Hören ist immer auch Sich-Erinnern an das, was war. „Was uns die Väter erzählten“, das war Norm für das Leben. Was Gott ihnen sagte, das hörten die Juden, um es zu befolgen. Was Gott sagt, muss getan werden. Das tägliche Bekenntnis der Juden beginnt daher auch mit: „Höre Israel!“ Bei den Griechen zielte das Hören weniger auf Gehorsam als auf ein Anteilnehmen an den Emotionen. Es hat für sie vor allem mit innerem Angerührtwerden zu tun: Im Hören habe ich auch teil an den Emotionen des anderen und im Aufeinanderhören werden unsere Emotionen angeregt, damit sie uns in Bewegung bringen. Musik berührt die Seele, und Worte stiften Beziehung. Das gilt noch immer: Mir hat eine Erzieherin erzählt, dass die Blinden wesentlich intensiver Weihnachten feiern können als die Gehörlosen. Blinde nehmen mit ihren Ohren sehr intensiv die Emotionen auf, die in den Weihnachtsliedern und weihnachtlichen Texten hörbar werden. Gehörlose dagegen sehen nur den Glanz der Lichter. Das Schauen regt das Herz offensichtlich weniger an als das Hören. Blinde sind von Sachen getrennt, Gehörlose von Personen. Oder wie es der Naturphilosoph Lorenz Oken ausdrückt: „Das Auge führt den Menschen in die Welt, das Ohr führt die Welt in den Menschen ein.“

Beziehungen ermöglichen

Während das Sehen nicht aufhören will, vergeht das, was wir hören, ständig. Es verklingt. Hören ist immer nur im Augenblick. Wir hören zudem nicht nur die Worte und den Inhalt, wir hören vor allem, wie etwas gesagt wird. Wir hören aus Worten die Absicht heraus, erspüren darin Nähe oder Distanz, Liebe oder Kälte, Verstehen oder Verschlossenheit. Damit Kommunikation gelingt, braucht es also ein gutes Hinhorchen, nicht nur auf die Worte, sondern auch auf die Zwischentöne, auf die emotionale Befindlichkeit des Sprechenden. Viele Gespräche misslingen, weil wir nicht zuhören können und in den Worten des anderen das Neue nicht heraushören, das uns vielleicht weiterbringen würde.

Hören des Unhörbaren

Die Pythagoräer der griechischen Antike sprechen vom Weltenklang, von der „harmonia mundi“. Der moderne Klangphilosoph Joachim Ernst Berendt sagt Ähnliches: Das Ohr überschreitet, es transzendiert. Es geht hinüber „vom Hörbaren ins Unhörbare“ (Berendt, Das Dritte Ohr, S. 74). Wer ganz Ohr ist, hört den Klang des Kosmos. Doch wir überhören meist diesen Klang, in dem Gott selbst hörbar wird. Und wir überhören ebenso die Stimmen in unserem eigenen Herzen. Wer Gott in seinem Herzen finden möchte, der muss mit dem inneren Ohr auf die leisen Impulse in seinem Innern horchen. Berendt fordert uns auf: „Höre auf dich! Horche in dich hinein! Höre dich! … Gehöre dir!“ (ebd., S. 108) Wenn wir ganz Ohr sind und mit dem ganzen Leib hören, lassen wir Gott selbst in uns eindringen, lassen Seinen Klang unseren Leib und unsere Seele durchdringen. Solches Hören ist „Nahrung für die Seele“ (ebd., S. 443). Unsere Aufgabe ist es, durch-zu-hören durch das Vordergründige, um die verborgene Harmonie in allem zu er-hören, um Gottes Stimme in und hinter allen Stimmen zu er-horchen. Um so hören zu können, müssen wir im Schweigen das Instrument unseres Ohres immer wieder stimmen. Gottes Stimme ertönt in der Schöpfung in allem, was an unser Ohr dringt: im Wind, im Rauschen der Bäche, im Regen, im Gesang der Vögel. In den Stimmen der Schöpfung können wir die Gestimmtheit der Welt erhorchen und darin Gott erahnen. Seine Stimme trifft mich aber vor allem im Wort. Das können innere Worte sein, die inneren Stimmen meines Herzens, meines Gewissens. Es können aber auch Worte sein, die ein anderer uns zuspricht. Aus dem Wort bricht die Emotion des Sprechenden hervor. Wenn mir ein Mensch ein Wort zuspricht, das aus seinem Herzen kommt, dann habe ich teil an seinem Gestimmtsein.  

Von Gott angesprochen

In der Bibel hat uns Gott sein Wort zugesprochen. Wenn ich Gottes Wort mit dem Ohr meines Herzens höre, dann kann mir darin Gottes Herz aufgehen. Dann ist das Wort nicht Information, über die ich nachdenken kann, sondern Kommunikation. Gott selbst teilt sich mir im Wort mit. Und im Wort erahne ich etwas vom Geheimnis seiner Person. Die Worte der Bibel sind für mich Worte eines Du, einer Person, die mit mir in Beziehung treten will. Daher ist es für mich wichtig, die Worte der Bibel als Worte zu meditieren, die Gott in diesem Augenblick persönlich an mich richtet. Wenn ich z. B. das Wort meditiere: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich ausgelöst, ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir“ (Jes 43,1), dann stelle ich mir vor: Dieses Wort spricht Gott ganz persönlich zu mir. Ich bin gemeint. Das ist meine tiefste Wirklichkeit.

Musik – Fenster zum Himmel

Ich gönne mir manchmal, am Sonntagabend auf meinem Zimmer mit Kopfhörer Musik zu hören. Dabei habe ich meine Rituale. Ich höre an ganz bestimmten Festen die jeweils passende Musik. Dann dringt die Musik in mich ein, und in der Musik werden die Worte – etwa in einer Bachkantate – für mich eine emotionale Wirklichkeit. Ich fühle mich berührt, angesprochen, verwandelt durch das in Musik gesetzte Wort. Musik öffnet für mich ein Fenster zum Himmel. In der Musik übersteigen wir immer diese Welt und reichen hinein in die Welt Gottes. In jeder Musik hier auf Erden klingt etwas herüber von der himmlischen Musik, von Gott selbst, der nach Nicolaus Cusanus, dem mittelalterlichen Philosophen und Theologen, reine Harmonie ist.  

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