„Du bist extrem? Du bist tapfer? Teste deine Grenzen aus!“ so lautete die Werbung für einen Wettbewerb von Deutschlandradio Wissen. Zielgruppe: junge Menschen. Und da wurde in der Tat etwas geboten: Als Entwicklungshelfer nach Uganda. Mit dem Polarschiff in die Antarktis, dem Klimawandel auf der Spur. Mit einem Expeditionsteam um die Azoren. Im Frühjahr 2016 konnten sich die Hörerinnen und Hörer mehrere Wochen jeweils für eine neue Aktion bewerben: Die überraschendste darunter: „Extrem runterkommen: Mit Mönchen Ruhe und Kraft im Kloster finden“. Klosterurlaub – ein Versprechen, etwas für Extrem-abenteurer? Worin liegt solche Faszination begründet?
„Tapfertypen-Gewinner“ Fritz ging ins Kloster – in die Abtei Himmerod in der Eifel, das älteste Mönchskloster Deutschlands. Das Foto auf S.4/5 zeigt ihn, kurz vor dem Einzug. Mehrere Tage ohne Internet, Handy und Musik – eine echte Herausforderung für ihn, der eigentlich als DJ jede Nacht in Großstadt-Clubs Musik auflegt und sein Geld damit verdient, dass er andere den Alltag vergessen lässt, sie zerstreut und unterhält. In Himmerod ist ab 19.30 Uhr Schweigezeit. Wirklich eine Extremerfahrung für einen über Dreißigjährigen aus Berlin! „Man wird hier direkt ehrfürchtig und fängt an zu flüstern“, sagt er aber am ersten Tag, mit der ungewohnten Umgebung etwas fremdelnd. Aber das legt sich bald.
Klöster stehen immer noch mitten in unserer Landschaft, gehören zu unserer Geschichte und Kultur, haben ganze Regionen geprägt und der Spiritualität vieler Generationen einen Ort, ein Gesicht, eine Heimat gegeben. Einsiedeln, Andechs, Melk – das sind „Seelenworte“. Aber einem religionsfernen und kirchenfremden Milieu klingt „Kloster“ wie etwas, was aus der Zeit gefallen ist.
Dabei genießen Klöster, verglichen mit den offiziellen verfassten Kirchen, eher einen Sympathiebonus. Es mag skurril klingen, ist aber Fakt: In einer norddeutschen Stadt erhielt eine neue Wohnsiedlung einen Klosternamen, obwohl definitiv vor Ort niemals ein Kloster existierte. Offensichtlich verkaufen sich Eigenheime wesentlich schneller, selbst wenn sie nur scheinbar auf einem ehemaligen Klostergelände stehen. Da schwingt die Aura von Kultur, Beständigkeit, Werten mit.
Alles, was mit Kirche zu tun hat, hat es heutzutage nicht leicht. Klöster sind von dieser allgemeinen Zurückhaltung nicht in gleichem Maß betroffen: „Wenn schon Kirche, dann richtig“, sagen die einen und genießen den gregorianischen Gesang. Die traditionsbewussten Mönche des österreichischen Stifts Heiligenkreuz haben mit ihrem Album Chant 2008 siebenfaches Platin in Österreich erreicht, es stand auf Nummer eins der Klassikcharts in den USA.
Andere suchen „auf Zeit“ Klöster auf, weil sie sie als inspirierende Gärten der Stille in einer permanent gestressten Welt erleben. Mönche sind „Gärtner der Stille“ (Steindl- Rast), Klöster Ruheinseln im hektischen Tempo der Zeit, Orte, wo unaufdringlich Werte in den Vordergrund gestellt sind, die im eigenen Alltag sehr oft ein Schattendasein führen: Gebet, Gemeinschaft, Disziplin, Regelmäßigkeit, Bescheidenheit, Gastfreundschaft.
Die Kirchen werden leerer und der Zustrom zu den Klöstern wächst. Aber auch Klöster werden geschlossen. Klosterräume stehen leer. Der Psychoanalytiker und Theologe Carl B. Möller erzählte einmal, was er angesichts solcher leeren Klosterräume empfand: „Die Räume sprachen vom Warten. Worauf sie warten, sagten sie nicht, ließen es offen.“
Worauf warten sie?
Die Frage ist auch: Worauf warten wir?
Zum Beispiel Fritz, der „Tapfertyp“ des Deutschlandradio: Worauf wartete, was erwartete er? Er erzählte es einer Reporterin. Sein Job zwingt ihn, immer nur für andere dazusein, immer freundlich, als soziale Servicekraft. Er hatte das Gefühl, dabei den Kontakt mit sich selber verloren zu haben. „Runterkommen“ hieß für ihn: sich selbst wieder finden.
In Kontakt mit sich kommen – das klingt nicht fromm, aber es ist nicht wenig. Sich mit sich selber zu konfrontieren, das kann so spannend sein wie eine Reise nach Uganda oder nach Alaska. Klöster bieten einen Raum dafür, weil sie gerade das für wichtig halten. Die Mönche sagen: Wer sich selbst verloren hat, der findet auch keinen Weg zu Gott. Das ist ein starkes Wort. Nichts für Abgehobene. Und wirklich nichts für schwache Gemüter oder für Feiglinge.