Wie Eltern und Kinder reagieren
Für Eltern, deren Kind schwer krank ist, zerbricht ein Lebenstraum: das Kind begleiten zu können, bis es selbständig seinen Weg in eine gute Zukunft gehen kann. Viele Eltern bemitleiden dann das Kind. Sie sehen nicht nur auf den eigenen Schmerz, sondern sie sehen vor allem den Schmerz des Kindes. Doch manchmal interpretieren die Eltern in das Kind etwas hinein, was es so gar nicht empfindet. Denn manchmal reagieren Kinder ganz anders, als wir es erwarten. Sie akzeptieren die Krankheit. Sie zeigen auf einmal eine große Reife. Sie werden durchsichtig für das Geheimnis des Lebens. Sie nehmen die Krankheit gelassen an.
Was gibt das Kind den Eltern?
Eine Mutter erzählte mir, dass sie in einer Selbsthilfegruppe von Eltern ist, die alle ein schwerkrankes Kind haben, bei dem die Lebenschancen nur begrenzt sind. In dieser Selbsthilfegruppe tauschen sich die Eltern vor allem über die Frage aus, was sie dem Kind Gutes tun können, wie sie für es sorgen können. Das ist sicher gut gemeint. Aber oft fühlen sich die Eltern dann überfordert. Sie setzen sich unter Druck, möglichst viel Gutes für das Kind tun zu können. Mir war im Gespräch mit den Betroffenen immer wichtig, auch eine andere Perspektive einzunehmen: Was gibt das Kind den Eltern? Gerade schwer kranke Kinder sind oft sehr spirituell. Sie haben eine innere Weisheit. Aus ihrem Gesicht strahlt ein Licht, das von woanders herzukommen scheint. Daher ist es gut, nicht nur zu fragen, was ich dem Kind geben kann, sondern auch: Was gibt das Kind mir? Wenn sie sich so fragen, fühlen sich die Eltern auf einmal beschenkt. Natürlich leiden sie darunter, dass das, was das Kind ihnen schenkt, nur eine begrenzte Zeit anhalten wird. Aber gerade daher ist es wichtig, die Augenblicke der Begegnung mit dem Kind achtsam zu erleben, sich zu fragen, was vom Kind ausgeht. Und sie sollten im Gespräch auf die Bilder eingehen, die das Kind von sich aus entwirft. Kinder entwickeln oft ihre eigene Philosophie oder Theologie. Die Eltern sollten mit den Kindern über das sprechen, was diese selbst denken und wie sie ihre Krankheit sehen.
Eine Spur im Herzen
Auch wenn die Eltern in der ständigen Angst leben, dass ihr Kind nur eine begrenzte Zeit leben wird, sollten sie sich bewusst machen: Gerade jetzt gräbt das Kind eine tiefe Spur in die Herzen von uns Eltern. Und diese Spur wird auch nach dem Tod noch bleiben. Es ist eine Spur, die vielleicht intensiver ist als die Spur, die Menschen hinterlassen, die alt werden. Es tut weh, wenn wir daran denken, dass diese Spur nur einige Jahre lang in diese Welt eingegraben wird. Man würde dem Kind wünschen, dass es seine Reife und seine Weisheit vielen Menschen weitergeben könnte. Und man denkt dann unwillkürlich an die vielen Jugendlichen, die einfach nur so dahinleben, die keinen Sinn in ihrem Leben sehen. Natürlich fragen wir uns auch: Warum müssen so wertvolle Kinder sterben, während andere, die sich keine Gedanken über ihr Leben machen, lange leben dürfen? Diese Gedanken tauchen einfach in uns auf. Wir können nicht verhindern, dass sie entstehen. Aber es ist unsere Aufgabe, uns von diesen Gedanken nicht beherrschen zu lassen. Wir sollen sie wahrnehmen und dann versuchen, dankbar zu sein für das, was wir mit unserem Kind erleben.
Mit dem Kind sprechen
Eine Mutter erzählte mir von der schweren Krankheit ihres Sohnes, der unter starken Schmerzen litt und ständig voller Zorn gegen seine Krankheit rebellierte: Warum mutete Gott ihm diese Krankheit zu, wo er doch immer versucht hatte, gut zu leben? Die Mutter fühlte sich dieser Rebellion ihres Kindes gegenüber hilfl os. Sie wusste nicht, was sie ihm sagen sollte. Es hilft in einer solchen Situation nicht, das Kind zu vertrösten, dass es schon wieder gut würde. Das Kind leidet jetzt. Und es ist wichtig, mit dem Kind über den Schmerz zu sprechen: Was tut so weh? Worauf bist du zornig? Was wünschst du dir? Wie stellst du dir dein Leben vor? Was könnte dir jetzt helfen? Wie würde es aussehen, wenn die Krankheit wie weg gewischt wäre? Was würdest du dann tun?
Mit dem Partner sprechen
Die Krankheit des Kindes ist ein großer Schmerz für die Eltern. Und sie ist eine Herausforderung, sich auf sie einzulassen. Oft führt die Krankheit auch die Partnerschaft in eine Krise. Der Vater reagiert oft anders als die Mutter auf die Krankheit. Auch da ist es gut, sich gegenseitig darüber auszutauschen, wie jeder mit der Krankheit des Kindes umgeht, was sie bei ihm innerlich auslöst. Es gibt keine absolut „richtige“ Reaktion. Jeder reagiert auf dem Hintergrund seiner eigenen Lebensgeschichte. So könnte das Gespräch über die Krankheit des Kindes die eigenen Verletzungen ansprechen. Dann wäre die Krankheit des Kindes auch eine Chance, sich mit seiner eigenen Lebensgeschichte auszusöhnen.
Wenn Schuldgefühle auftauchen
Eine Mutter warf sich selber vor, dass sie es nicht geschafft habe, ihr Kind gesund zur Welt zu bringen oder für seine Gesundheit genügend zu sorgen. Wir können nicht verhindern, dass solche Schuldgefühle auftauchen. Aber es ist wichtig, dass wir uns von ihnen distanzieren. Wir sollen uns weder beschuldigen noch entschuldigen. Es ist so, wie es ist. Unsere Aufgabe besteht darin, jetzt mit dem, was ist, gut umzugehen. Nachzugrübeln, was an der Krankheit schuld sein könnte, hilft uns nicht weiter. Gott macht uns sicher keine Vorwürfe und das Kind auch nicht. Es ist unser eigenes ÜberIch, das uns anklagt. Doch der Glaube an die Barmherzigkeit Gottes kann dieses ÜberIch entmachten.
Näher am Sinn des Lebens
Für die Eltern ist es schwer, sich mit der Krankheit des Kindes auszusöhnen. Aber zugleich ist die Krankheit des Kindes auch eine Chance, über das eigene Leben zu refl ektieren und die eigenen Maßstäbe zu hinterfragen. Wenn das Kind so krank ist, dann wird vieles andere unwichtig. Dann ist es nicht so wichtig, welches Auto ich fahre oder wieviel ich verdiene. Und dann wird man an manchen seichten Small Talks kein Gefallen mehr fi nden. Dann möchte man über ernsthaftere Themen sprechen: über das, was unser Leben wirklich ausmacht und was ihm Sinn verleiht.