Trauer und Trost
Wenn Menschen, die sich lieben, sich ihre Endlichkeit bewusst machen und Angst vor dem Verlust spüren, ist es gut, diese Angst als Einladung zu verstehen: jetzt intensiv miteinander zu leben. Jetzt können wir dankbar sein für die Zeit, die wir miteinander haben. Niemand weiß, wie lange uns noch Zeit vergönnt ist. Daher sollten wir die Zeit, die uns geschenkt ist, intensiv leben und bewusst auch über all das sprechen, was wir im Getriebe des Alltags vergessen, es wirklich zum Ausdruck zu bringen. Wenn dann der Partner oder ein anderer geliebter Mensch stirbt, kann man durch noch so fromme Worte die Trauer nicht überspringen. Der Schmerz des Abschieds bleibt. Er tut weh, auch, wenn wir darauf vertrauen, dass der Verstorbene jetzt bei Gott ist. Manchmal fühlen wir uns leer, alles erscheint sinnlos. Wir haben keinen festen Grund, auf dem wir stehen. Wir sind haltlos. Da sehnen wir uns nach Menschen, die uns trösten. Trösten heißt nicht, mit frommen Worten vertrösten. Trost bedeutet vielmehr, dass der andere bei mir stehenbleibt und meine Verzweiflung und meine Tränen aushält. Er will sie nicht wegreden. Sondern er steht zu mir, er versteht mich. Und wenn ich mich verstanden fühle, kann ich langsam wieder Boden unter den Füßen bekommen.
Was willst du mir sagen?
Wichtig ist in der Trauer, dass ich auf das Ziel der Trauer schaue. Das Ziel der Trauer ist, eine neue Beziehung zum Verstorbenen, zu mir selbst und zu Gott zu finden. Um eine neue Beziehung zum Verstorbenen zu entwickeln, ist es gut, zuerst seine Botschaft zu verstehen. Was wollte er mir und den Menschen vermitteln? Woraus hat er gelebt? Wofür hat er gelebt? Was macht diesen einmaligen Menschen aus? Oft erkennen wir, solange der andere lebt, sein Wesen nicht. Wir kennen ihn zwar. Aber wir machen uns oft keine Gedanken, was wirklich in ihm vorgeht und was das Geheimnis dieser einmaligen Person ist. So ist es gut, seine Bilder anzuschauen, seine Briefe nochmals zu lesen, seine Lieblingswege nochmals zu gehen, vielleicht auch die Musik zu hören, die er gerne gehört hat. Und bei all dem spüre ich natürlich die Trauer, dass der geliebte Mensch nicht mehr da ist. Aber zugleich erkenne ich mehr und mehr sein Wesen. Dann kann ich ihn fragen: Was willst du mir sagen? Was ist deine Botschaft an mich?
Die Liebe bleibt
Wenn ich immer tiefer hinein spüre in das Geheimnis des Verstorbenen, dann bitte ich ihn, dass er mich innerlich begleitet. Ich stelle mir vor: Die Liebe, die wir zueinander hatten, kann durch den Tod nicht zerstört werden. Die Liebe ist stärker als der Tod. Im Glauben zeigt sich uns das in Tod und Auferstehung Jesu. Der französische Philosoph Gabriel Marcel sagte einmal: „Lieben, das bedeutet zum anderen zu sagen: Du, du wirst nicht sterben.“ Die Liebe, die ich von meinem Partner erfahren habe, bleibt in mir. Niemand kann sie mir rauben. Und in dieser Liebe spüre ich den Partner wirklich. Ich kann ihn zwar nicht umarmen, nicht mit ihm von Angesicht zu Angesicht sprechen, seine Stimme nicht hören. Aber ich kann ihn doch bitten, immer bei mir zu sein. Ich stelle mir vor, dass ich die Wege nicht allein gehe, sondern mit dem Verstorbenen. Und wenn ich allein in meinem Zimmer sitze, stelle ich mir vor, dass er bei mir sitzt, ja dass er in mir ist. Ich taste mich vor in den Grund meiner Seele, in dem die Quelle der Liebe strömt. Und ich stelle mir vor, dass der verstorbene Partner in dieser Liebe gegenwärtig ist. Die Liebe strömt auch zu ihm und sie wird von ihm gespeist. In dieser Liebe bin ich eins mit ihm, über den Tod hinweg.
Wer bin ich selbst?
Der Tod des Partners ist auch eine Herausforderung an mich, eine neue Beziehung zu mir selbst zu entwickeln. Ich bin nicht nur die Partnerin oder der Partner des Verstorbenen. Ich bin ich selbst. Was ist mein Wesen? Welche Spur möchte ich in diese Welt eingraben? Was möchte in mir noch wachsen, sich entfalten? Wenn ich den Verstorbenen frage, was er von mir möchte, wird er mir vielleicht sagen: „Sei ganz du selbst! Trau dich, dein eigenes Leben zu leben. Ich bin bei dir. Aber ich wünsche dir, dass du immer mehr du selbst wirst. Du bist einmalig. Trau dich, deine Einmaligkeit zu leben!“ Meine Mutter hat meinen Vater um 29 Jahre überlebt. Sie hat jeden Tag am Morgen ein Gebet aus dem Gotteslob für ihn gebetet und darin die Verbundenheit mit ihm gespürt. Aber zugleich hat sie im Gebet die Kraft gefunden, ihren eigenen Weg zu gehen. In dem Gebet heißt es: „Lohne ihm alle Liebe und Treue mit ewiger Freude, mir aber gib Kraft zu sagen: dein Wille geschehe, auch wenn dein Weg unbegreiflich ist. Und lass uns im Himmel mit dir vereint sein.“ Meine Mutter hat den Tod ihres Mannes betrauert, aber durch die Trauer hindurch innere Freiheit, Weite und eigene Kraft gefunden.
Wer ist Gott für mich?
Durch den Tod des Partners wird der Glaube oft auf eine harte Probe gestellt. Zweifel kommen hoch: Warum hat Gott ihn sterben lassen? Warum muss das alles so sein? Der Zweifel kann unseren Glauben auf ein neues Fundament stellen: Was glaube ich wirklich? Was trägt mich? Was bedeutet die Auferstehung? Wo ist mein verstorbener Mann, meine verstorbene Frau jetzt? Was ist der Himmel? Und wie kann ich ihn mir vorstellen? Manchmal können wir dann bestimmte Lieder nicht mehr singen. Wir spüren, wir können sie nicht mehr so singen wie bisher. Wir müssen sie neu verstehen, die Grundlage unseres Glaubens neu erarbeiten. Dann werde ich Gott auf einmal mit neuen Augen anschauen. Er ist der liebende Gott, aber zugleich der unbegreifliche Gott, der Gott, der mich immer wieder auffordert, mich zu fragen: Wer ist Gott für mich? Und wer bin ich vor Gott?