Was gutes Leben ausmachtVerantwortung übernehmen

Manche Menschen sehen sich selbst als Opfer und geben immer anderen die Schuld. Sie übernehmen keine Verantwortung für ihr Leben. Andere wiederum sehen nicht über den Tellerrand der eigenen Wünsche und Bedürfnisse hinaus und fühlen sich für alles andere nicht verantwortlich. Es interessiert sie nicht. Verantwortung hat aber immer mich selbst und das Ganze des Lebens, die Natur und die Menschenwelt im Blick.

Verantwortung übernehmen
Jeder Einzelne ist für diese Welt und für das Menschenganze verantwortlich.© kokouu von iStock by Getty Images

Riesenbabys und Egozentriker

Man kann solchen Menschen oft begegnen: Sie fühlen sie sich als Opfer einer verletzenden Erziehung und schieben ihre Probleme zeitlebens auf ihre Kindheit. Aber Erwachsensein bedeutet, dass ich die Verantwortung für mein Leben übernehme. Ich mache etwas aus dem, was ich als Kind erlebt habe. Wer sich weigert, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, der ist auch nicht bereit, die Verantwortung für die Familie, für die Firma, für die Pfarrei, für seine politische Gemeinde zu übernehmen. Pascal Bruckner, ein französischer Philosoph, sieht hinter einer solchen Haltung die Tendenz zu Infantilisierung und die Neigung zur Opferrolle. Der Mensch der Zukunft – so meint Bruckner skeptisch – ist ein alterndes Riesenbaby mit Riesenansprüchen an die Gesellschaft, die Kirche, die Firma, die Gemeinde. Schuld sind immer die anderen. Es kann unmöglich sein, dass ich selbst einen Fehler mache. Wenn ich mir den Kaffee über den Oberschenkel schütte und mich dabei verbrühe, dann ist die Firma schuld, die mich nicht darüber aufgeklärt hat, dass der Kaffee heiß ist. Leider verbreitet sich eine solche Opfermentalität immer mehr. Auf der anderen Seite gibt es die Menschen, die nur für sich selbst Verantwortung übernehmen, nur ihre eigenen Interessen verfolgen. Das größere Ganze berührt sie nicht.

Prinzip guten Lebens

Dagegen braucht es die Bereitschaft, das Ganze im Blick haben und Verantwortung zu übernehmen: für sich selbst, für andere, für die Gesellschaft und für die Schöpfung. Theologen und Philosophen haben in den letzten Jahrzehnten die Verantwortung in den Mittelpunkt heutiger Ethik gestellt. Albert Schweitzer forderte eine Steigerung des Verantwortungsgefühls. Der Kern einer Ethik grenzenloser Verantwortung ist für Schweitzer die Ehrfurcht vor dem Leben. Carl Friedrich von Weizsäcker fordert die Christen zu einer umfassenden Weltverantwortung auf, für Frieden und Gerechtigkeit und für die Bewahrung der Schöpfung. Der Philosoph Hans Jonas hat sein wichtigstes Werk „Das Prinzip Verantwortung“ genannt. Seine Überzeugung: Wir sind, im Kleinen wie im Großen, verantwortlich für die Folgen unseres Handelns. Und wir müssen vorausschauend Verantwortung für diese Welt übernehmen: für den Klimawandel und für die Strukturen der globalisierten Welt. Die ganzheitlich verstandene elterliche Verantwortung für das Kind, für sein Werden und seine Entwicklung, ist für Hans Jonas der Archetyp für jede Verantwortung: Wie die Eltern für ihre Kinder sind wir für diese unsere gemeinsame Welt und für das Menschenganze verantwortlich. Nach Aristoteles hat der Staatsmann Verantwortung dafür, dass menschliches Leben auch in Zukunft möglich ist. Wir müssen immer fragen: Was kommt danach? Wohin wird es führen? Hans Jonas stellt als Grundsatz auf: Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.

„Wo ist dein Bruder?“

Wenn wir vom christlichen Glauben her von Verantwortung sprechen, dann verstehen wir darunter immer eine Antwort auf die Frage Gottes. Gott stellt den Menschen in die Verantwortung für seine Schöpfung: Gott, der Herr, nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte. (Gen 2,15) Wir sind verantwortlich dafür, wie wir mit der Schöpfung umgehen. Wir sollten sie hüten und pfl egen und nicht ausbeuten für die eigenen Zwecke. Gott verlangt von Adam, der sich seiner Schuld nicht stellen möchte, Verantwortung für sein Handeln. Er fragt ihn: „Wo bist du?“ (Gen 3,9) Adam kann sich nicht vor seiner Verantwortung drücken. Er muss zu seiner Schuld stehen. Und Gott fordert vom Menschen die Verantwortung für seinen Bruder. Er stellt Kain, der seinen Bruder Abel erschlagen hat, die Frage: „Wo ist dein Bruder Abel?“ (Gen 4,8) Kain kann sich nicht damit herausreden, dass er nicht der Hüter seines Bruders ist. Wir sind füreinander verantwortlich. Wir müssen Gott eine Antwort geben.

Auf das Gewissen hören

Wir antworten Gott mit unserem Leben, indem wir es verantwortlich leben. Gott spricht zu uns in unserem Gewissen. So ist die erste Antwort, die wir Gott zu geben haben, auf unser Gewissen zu hören. Das Gewissen zeigt uns nicht nur, dass wir die einmalige Gestalt leben sollen, die Gott jedem zugedacht hat. Das Gewissen verweist uns auch auf die Brüder und Schwestern. Wir leben nicht für uns allein. Wir sollen wie der Samariter eine Antwort geben, wenn wir einen Menschen sehen, der unter die Räuber gefallen ist und halbtot am Wegrand liegt. (Vgl. Lk 10,30ff) Wir dürfen die Augen nicht vor den notleidenden Menschen verschließen, wie es der Priester und Levit in der Geschichte vom Samariter getan haben.

Eine spirituelle Aufgabe

Verantwortung ist für uns Christen nicht nur ein abstraktes philosophisches Thema, sondern eine existenzielle und spirituelle Aufgabe. Es geht darum, dass wir im Gebet gut hinhören, was Gott heute von uns und ganz persönlich von mir möchte. Was sind die Fragen, die Gott an mich stellt? Was ist die Sendung, die er mir zugedacht hat? Was ist meine Aufgabe in der Welt? Spiritualität heißt: eine konkrete Antwort geben. Das deutsche Wort „Antwort“ meint, ich sage ein Wort im Angesicht dessen, der mich gefragt hat. Ich schaue also auf Gott und antworte ihm mit meinem Handeln. Jesus sagt am Ende der Bergpredigt: „Wer diese meine Worte hört und danach handelt, ist wie ein kluger Mann, der sein Haus auf Fels baute.“ (Mt 7,24) Im Griechischen steht hier: die Worte tun (poiein). Ich antworte auf die Worte Jesu, indem ich sie tue, sie erfülle, sie kreativ umsetze (poiein heißt auch: schaffen, schöpferisch wirken). Das verlangt, dass wir nicht nur auf Jesu Worte hören, sondern auch auf die Zeichen der Zeit, auf die Herausforderungen der Gegenwart. Nur dann werden wir die Worte Jesu auf eine Weise erfüllen, die zum Segen für die Welt wird. Papst Franziskus sieht die kreative Umsetzung der Worte Jesu heute vor allem in der Hinwendung zu den Armen und in der Bewahrung der Schöpfung, in der Ehrfurcht vor der Natur. Christliches Leben bedeutet also mehr, als nur spirituelle Gedanken zu haben. Es verlangt eine tatkräftige Antwort auf die vielen konkreten Fragen, die Gott jedem einzelnen in seinem Gewissen stellt, und die er auch an uns als Kirche und als Gesellschaft richtet.

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