Auch die Ellbogenstärksten, die Härtesten, Kräftigsten und Reichsten unter uns können schwach, krank und hilflos werden. Denn letztlich, so Paracelsus, ist der Mensch doch „zum Umfallen geboren“. Keiner lebt ewig. Und keiner lebt für sich allein. Nicht nur Konkurrenz, auch Kooperation ist ein Prinzip des Lebens selber. Wir sind alle aufeinander angewiesen – und auf gegenseitige Hilfe. Natürlich ganz besonders die Schwachen.
Wenn Helfen gelingt, ist es keine Asymmetrie – von oben nach unten –, sondern von Gleich zu Gleich: freiwillig, ohne sich selber groß machen zu wollen, ohne eigennützige Absicht – dann wird Leben gefördert und ermöglicht.
Viele erfahren es: dass Helfen gut tut, erfüllend ist, das Ich stärkt: Es ist etwas anderes als eine Serviceleistung und auch kein Geschäftsmodell. Helfen macht die Welt menschlicher, besser: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es (Kästner).
Da sind die vielen Ehrenamtlichen, nicht nur in den Vereinen, die etwas tun, nicht um selber groß herauszukommen oder sich wichtig zu machen, sondern zum Gelingen des Ganzen beitragen. Die unaufgefordert selber etwas in die Hand nehmen, nicht auf die Verwaltung oder den Staat warten. Nichts Großartiges. Und doch etwas sehr Notwendiges.
Ohne diese Menschen würde unsere Gesellschaft weniger zusammenhalten. Man denke nur die vielen Fälle der Nachbarschaftshilfe: wo es selbstverständlich ist, dem anderen unter die Arme zu greifen oder etwas zu leihen und, wo nötig, einzuspringen. Oder wo die Nachbarn pflegende Familienangehörige entlasten und im Quartier dazu beitragen, dass Menschen beieinander bleiben können.
Helfen, wenn Not am Mann ist, ist oft das Naheliegende. Manchmal geht es auch darüber hinaus. „Die Polizei, dein Freund und Vater“, lautet etwa eine solche Geschichte: Wie begegnet man als Polizist einem Buben, der nachts vom Lärm eines Streits erwacht, in die Küche tappt und seine Mutter tot sieht? Zwei Mal hatte der Kriminalhauptmeister Carlos Benede mit Jungs zu tun, deren Mütter ermordet wurden – von den Vätern der Kinder. Zwei Mal fasste er sich ein Herz und adoptierte sie. Diese Geschichte wird nicht unglaubwürdiger, wenn man weiß, dass Benede als Kind ähnliches erlebte, selbst in einem Heim aufgewachsen war, dass er dort Schwestern traf, die ihn seine Vergangenheit vergessen ließen. Er besucht „seine Nonne“ noch heute.
Helfen ist konkret. Da ist die pensionierte Lehrerin, die mit einem kleinen Syrer übt, der Schwierigkeit mit dem Rechnen hat und die ihn, wenn es in der Schule mal nicht geklappt hat, zum Trost auf einen Ausflug mitnimmt. Da ist die Hausfrau, die, ohne Amt, in ihrer Gemeinde bei den Festen die Kaffeetafel bestückt. Oder all die „grünen Damen“, die in Kliniken gehen, den Kranken ein freundliches Wort, ein Lächeln, ein Gesprächsangebot schenken. Da ist der ehemalige Gymnasiallehrer, der jetzt, nach der Pensionierung, Schichtdienst bei der Telefonseelsorge macht, sich nachts die Nöte anderer anhört, auch wenn er ihre Not meist nicht beheben kann. Warum tut er es? Schlicht: weil es ihn nicht gleichgültig lässt, wie hart viele Menschen kämpfen, mit sich und ihrer Umwelt, ihrer Vergangenheit und ihrer Angst. Er hört zu und hilft ihnen so, leichter durch die Nacht ihres Lebens zu kommen.
Helfen und sich helfen lassen: das gehört zum Leben. Von der Geburt bis zum Tod. Alle sind angetan von der Zuwendung, die ein kleines Kind am Anfang seines Lebens ganz selbstverständlich bekommt. Warum haben aber dann so viele Angst vor einem Leben, das am Ende nicht mehr selbstbestimmt ist?
„Ich möchte einmal nicht auf die Hilfe von anderen angewiesen sein!“ Der Psychiater Manfred Lütz sieht den Satz kritisch: „Während jemand das sagt, ist er selbst ja nicht auf die Hilfe anderer angewiesen. Aber vielleicht der Nachbar. Auch Behinderte sind auf die Hilfe anderer angewiesen, Kranke, Kinder. Wir alle sind auf die Hilfe anderer angewiesen. In der Mitte des Lebens etwas weniger, und da können wir dann Menschen am Beginn und am Ende helfen. Das nennt man Menschlichkeit.“ Die Gelegenheit ist immer. Nicht theoretisch, sondern praktisch. In einem Sprichwort aus Rumänien ist zusammengefasst, worum es geht: „Fünf Minuten Hilfe sind besser als zehn Tage Mitleid.“