Aufs Eigentliche hin leben
Erhart Kästner (1904 –1974) war evangelischer Christ und von Beruf Bibliothekar. Offensichtlich faszinierte ihn die orthodoxe Welt der Mönchsrepublik. Denn er besuchte öfter den Berg Athos und unter- hielt sich mit den Mönchen. Als er dort in einer Kirche das Bild der Verklärung betrachtet, schreibt er: „Wenn anders Verklärung der Durchbruch des Eigentlichen durchs Schemenhafte, des Lebendigen durch die Schatten, des Geliebten durchs Ungeliebte und die Ankunft des Langerwarteteten ist, so weiß jeder, dass solche Momente es sind, um derentwillen wir leben. Verklärung ist Durchschein des Urbilds. Das wird von jedem Geborenen erhofft. Wir leben auf Verklärungen zu, worauf sollten wir sonst, es ist unsere angeborene Hoffnung.“
Schwermut als Impuls
Als er einen Sänger singen hört, meint Kästner, dass es beim Singen immer um gebrochene Herzen zu handeln scheint. Da stellt er die Frage, „ob nicht Musik immer mit Schwermut versetzt ist? Auch Mozart; wie anders könnte er sonst über die Traurigen etwas vermögen? Es gilt doch wohl, dass Musik ohne das ganz unerträglich sein würde. Wie auch ein Mensch, dem Schwermut ganz fremd ist, so schwer erträglich, ja so unheimlich ist wie einer, der sie unverdeckt lässt und öffentlich darin versinkt.“
Rituale – ein Haus für die Seele
Immer wieder nimmt Kästner teil an der Liturgie der Athosmönche, die nach immer gleichen Regeln abläuft. Da schreibt er über die Wiederholung der immer gleichen Rituale: „Neben dem Drang, die Welt zu gewinnen, liegt ein eingeborener Drang, immer Selbes aus uralten Formen zu prägen. In Riten fühlt die Seele sich wohl. Das sind ihre festen Gehäuse. Hier lässt es sich wohnen, in den dämmerigen Räumen, die das Liturgische schafft. Hier stehn die gefüllten Näpfe bereit, die Opferschalen der Seele. Hier fährt sie aus, fährt sie ein; gewohnte Gaben, gewohntes Mahl. Der Kopf will das Neue, das Herz will immer dasselbe.“