BegegnungenVerbundenheit und Herzensfrieden

Er ist einer der großen spirituellen Lehrer unserer Zeit. Kern seiner Spiritualität ist die Erfahrung der Dankbarkeit und die Einsicht, dass Liebe und Dialog uns verbinden. Warum und mit welchem Ziel er sich auch immer noch sozial engagiert, darüber sprach Michaela Gründler mit Br. David.

Verbundenheit und Herzensfrieden
Br. David Steindl-Rast OSB, Weisheitslehrer und geistlicher Autor, ist weltweit aktiv im interreligiösen Dialog und in der Friedensbewegung. Er lebt im österreichischen Europakloster Gut Aich.© Norbert Kopf, www.traumgaertner.at

Michaela Gründler: Sie sprechen von Verbundenheit als zentralem Wert. Was bedeutet das für Sie: Verbindung?

David Steindl-Rast: Wir sind heute mit Herausforderungen konfrontiert, die man nur gemeinsam lösen kann. Nicht einmal ein Erdteil kann sich alleine der Klimaka­tastrophe oder einer Pandemie entgegen­ stellen. Weil wir auf Gemeinsamkeit ange­wiesen sind, müssen wir dort anfangen, wo wir sind – und mit den Leuten, mit denen wir zusammenkommen, wirklich in Verbindung treten. Das heißt: wirklich hinhorchen, wirklich bereit sein, gemein­sam zu arbeiten und alles loszulassen und auszuschalten, was sich der Verbindung entgegenstellt. Alles, was Mauern baut, stört die Verbindung.

Sich verbinden: Wie gelingt Ihnen selber das im eigenen Alltag?

Ich bemühe mich um genau das: hinzu­ horchen. Das Wichtigste ist immer das, was das Leben uns im Augenblick auf­ gibt. Dazu gehören auch Störungen. Ent­scheidend ist für mich, keinen konkreten Plan zu haben, sondern ich konzentriere mich auf ein klares Ziel. Den Plan, dieses Ziel zu erreichen, überlasse ich dem Le­ben. Solange ich mich ganz auf das Ziel ausrichte und alle Gelegenheiten wahr­ nehme, die mir das Leben im gegebenen Augenblick entgegenbringt, werden sie mich dem Ziel näher bringen.

Und was ist Ihr Ziel?

Eine glücklichere Welt. Ein Friede, der weit darüber hinausgeht, dass kein Krieg ist, der weit darüber hinausgeht, dass kein Konflikt ist: Friede als Fülle des Lebens.

Was trägt dazu bei, den herzustellen?

Zunächst: zu versuchen, in sich selbst zum Frieden zu kommen. In uns ist doch meistens Widerstreit zwischen allen mög­lichen Dingen. Da hilft Stille. In der Stille nehmen wir wahr: Alles ist schon mit al­lem verbunden. Dazu brauchen wir nichts mehr beizutragen. Es genügt, wenn wir die natürliche Verbundenheit nicht stören. Dann entfaltet sie sich von selbst.

 Was sind die Hindernisse dabei?

Häufig sind es Vorurteile. Zunächst im landläufigen Sinne, dass man etwas nicht mag, dass man ein Vorurteil hat gegen gewisse Leute, Gruppen und Typen, Welt­anschauungen oder Religionen. Aber auch in dem Sinn, dass man schon vorher ein Urteil getroffen hat, was sein müsste oder was besser wäre. Darum misstraue ich selbst meinen besten Plänen. Ich vertraue, dass das Leben seine eigenen Pläne hat, mich meinen großen Zielen näherzubrin­gen, wenn ich mich nur bemühe, so weit wie möglich im Augenblick zu leben. Denn das Leben gibt uns in jedem Augen­ blick alles, was wir brauchen. Aber es ver­langt auch etwas.

Und was verlangt das Leben von uns?

Zum Beispiel jetzt: Ihnen gut zuzuhören und bereit zu sein, zu antworten. Meistens verlangt das Leben von uns, dass wir die Gelegenheit ergreifen, uns zu freuen. Das Schöne ist: Das Leben schenkt uns immer wieder neue Gelegenheiten. Wenn man ei­ ne verpasst, kommt die nächste. Also: Im Augenblick leben und sich immer wieder in den Augenblick bringen. Und dem An­spruch, den das Leben jetzt an uns stellt, gerecht werden.

Wie bringen Sie sich in den Augenblick?

Man muss immer wieder lernen, innezu­halten. Wir leben in einer sehr schnellle­bigen Zeit. Alles soll immer sofort erledigt sein. Wir schwimmen in einem Strom, der uns wegreißen will. Wenn man sich aber bemüht, innezuhalten, dann genügt der Bruchteil einer Sekunde, um sich in die Gegenwart zu bringen. Das muss man sich bewusst vornehmen und immer wie­ der üben. Mit der Übung wird’s leichter.

Wann fühlen Sie sich getrennt?

Manchmal liegt es an mir selber. Zum Beispiel, wenn mir jemand unsympathisch ist, das kommt ja vor. Auch wenn mich am anderen etwas ärgert, und sei es eine Kleinigkeit, behindert das die Verbindung. Das Schwierigste ist, wenn ich als Gegen­ über Menschen habe, die einfach nicht im Augenblick sind. Die Vorübereilenden. Sie hetzen durchs Leben, haben eine Idee, wollen etwas erreichen, jagen vorgefass­ten Plänen nach und sind daher nicht verfügbar. Wie soll man mit jemandem in Verbindung treten, wenn er nicht da ist?

Weshalb ist Dankbarkeit so wichtig?

Dankbarkeit führt in die Gegenwart. Sie ist auch ein wirklicher Zugang zum großen Geheimnis unseres Lebens. Man kann nur dankbar sein, wenn man dem Leben ver­traut. Das ist die große Entscheidung: Ver­traut man jetzt dem Leben oder misstraut man ihm auf Schritt und Tritt? Wenn man ihm misstraut, ist das Ärgste schon pas­siert. Viel schlimmer kann es ja gar nicht werden. Wenn man hingegen vertraut, ist das der Einstieg zur Beziehung zum großen Geheimnis. Ich verwende daher lieber das Wort „Lebens­ vertrauen“ statt „Gottvertrauen“, aber es läuft auf dasselbe hinaus.

Was macht den Unterschied?

Ich bin sehr vorsichtig mit dem Begriff Gott. Den meisten Men­schen in unseren Breiten wird ja schon sehr früh eine falsche Idee von Gott gegeben: die Idee, dass wir von Gott getrennt sind – schon als Geschöpfe, und durch Sünde noch mehr. Unsere angeborene Ur­religiosität weiß aber, dass wir dem gött­lichen Geheimnis innig verbunden sind. Paulus, der zu Griechen in Athen spricht – als Mensch zu Menschen –, sagt: „Eure eigenen Dichter haben es ja schon gesagt: In Gott leben wir, bewegen uns und sind.“ (Apg 17:28) Das ist nicht der Gott, der uns als himmlischer Polizist bespitzelt, der Gott, der fern von uns im Himmel thront und uns verurteilt.

Wenn man das Vertrauen ins Leben verliert – wie lässt es sich wiedergewinnen?

 Wenn jemand überhaupt kein Lebensver­trauen hat, kann ich zumindest sagen: Schau, du kannst atmen. Du kannst se­hen. Du bekommst etwas zu essen, das dir schmeckt. Das alles schenkt dir das Leben. Wenn wir dort anfangen, wo wir uns am Leben freuen, gibt uns das ein bisschen Lebensvertrauen. Das Leben hält ja doch viel Gutes für uns bereit.

Sie sind über 94 Jahre alt. Welche Qualitäten verbinden Sie mit dem Älterwerden?

 Ich bin froh, dass Sie nur nach dem Po­sitiven fragen. (Schmunzelt). Ich schät­ze die Erinnerungen. Je älter man wird, umso wertvoller werden sie. Zumindest solange man sich noch erinnern kann ... Vielleicht auch ein gewisses Loslassen im Sinne von: Das Sterben kann nicht mehr weit weg sein, daher nehme ich gewisse Dinge nicht mehr so wichtig, über die ich mich früher vielleicht aufgeregt hätte.

Worüber haben Sie sich denn aufgeregt?

Ach Gott, über alles Mögliche!

Wirklich? Dabei wirken Sie so friedlich.

Kennen Sie das Enneagramm? Das ist eine Typenlehre zum Verständnis verschiedener Persönlichkeitsstrukturen – und eines der hilfreichsten Dinge, die mir im Leben un­tergekommen sind. Für meinen Persönlich­keitstyp kann nichts perfekt genug sein. Aber man findet halt ziemlich viele Dinge im Leben, die nicht so perfekt sind. (Lacht).

Wenn Sie auf Ihr bisheriges Leben zurückblicken: Was ist für Sie die Essenz?

 Anderen Menschen Freude zu machen. Das ist letztlich das, was zählt. Es geht im Le­ben darum, unsere Verbundenheit zu feiern. Uns immer wieder dafür Zeit zu nehmen.

Wie gehen Sie damit um, dass Ihr Leben aktuell eine überschaubare Dauer hat?

Es fällt mir wirklich nicht schwer, im Au­genblick zu leben. Der letzte Augenblick wird dann auch ein Augenblick sein.

Was macht ein gutes Leben aus?

Herzensfriede: Dass man mit sich selbst auskommt, sich mit allen Schwächen, Versagen, Unzulänglichkeiten annimmt und sich am Leben freut. Und es feiert! Das ist Herzensfriede.

Welche Botschaft ist Ihnen noch wichtig?

Zu sagen: Fürchte dich nicht! Angst ist unvermeidlich. Aber auch wenn uns angst und bange wird, haben wir die Wahl zwi­schen Mut und Furcht. Mut ist Vertrau­ en mitten in der Angst. Wenn man keine Angst hat, kann man nicht mutig sein. Angst ist ein Engpass im Leben. Furcht sträubt sich gegen die Enge, stellt die Borsten auf und bleibt in der Angst stecken. Durch Vertrauen wird die Angst zwar nicht weni­ger, aber sie hört auf, sobald man durch die Enge durch ist. Wenn wir zurückschauen auf unser Le­ben, sehen wir, dass wir durch große Ängste gegangen sind. Und je größer die Angst war, um­ so größer war die neue Geburt. Etwas Schönes ist entstanden, das nicht vorherzusehen war. Also: Fürchte dich nicht!

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