Reden wir über Gott!Gefühlsmacht der Liebe

Unter seinen Büchern sind Romane über Kant und Jesus oder das literarische Porträt „Lukas malt Christus“, sowie Fachbücher wie die dreibändige „Ästhetische Theologie“ oder eine „kleine Kunstgeschichte christlicher Gesten“. Klaas Huizings Neigung, in aktuellen Bezügen und poetischen Bildern zu sprechen, ist auch in seiner Suche nach einer heutigen Gott-Rede spürbar.

Gefühlsmacht der Liebe - Einfach Leben 10/23
© Valerie Schmidt

einfach leben: Führen alle Wege nach Rom?
Klaas Huizing: Ganz entschieden: Ja. Der Mittelpunkt der Erde ist für mich die Sixtinische Kapelle, genauer: Michelangelo Buonarrotis Fresko „Die Erschaffung Adams“. Mich interessiert: Wen hält Gott ganz kuschelig im Arm, bitteschön? Ist es Eva, die einen ersten skeptisch-interessierten Blick auf den leckeren Adam (He is in good shape) wirft? Oder die Frau Weisheit, frühes role model für Kreativität? Oder Lilith, die Ex von Adam? Ich möchte es gerne wissen!

Worüber reden Sie, wenn Sie von „Gott“ sprechen?
Es ist eine Erbschaft meiner calvinistischen Prägung: meine Liebe zum Alten Testament. Bei dem Alttestamentler Klaus Koch, der mich auch in Hebräisch geprüft hat, habe ich ein sphärisches Verständnis vom Göttlichen/Gott gelernt. Gott ist eine leiblich andrängende Gefühlsmacht, die für Gemeinschaftstreue und eine gerechte Existenzordnung begeistert oder, bei Unwuchten (durch Mittler), zur Umkehr ermuntert. Und neutestamentlich: Die Gefühlsmacht der Liebe kann sich personal inkarnieren. So geschehen bei Jesus Christus. 

Freuen Sie sich auf Gott?
Beinahe jeden Tag, immer dann, wenn ich das poetische Kraftwerk der Bibel betrete. Das gehört zur protestantischen DNA. Wir sind begeistert von der uns während der Lektüre hineinziehenden Kraft der biblischen Erzählungen. Ich empfinde immer etwas von einer nachgereichten Freude, wenn mir eine neue Nuance bei einer Erzählung aufgeht. Manchmal erst nach der hundertsten Lektüre. 

Gibt es Gottesaugenblicke in Ihrem Leben?
Es gibt einen vielfarbigen Strauß von Gottesaugenblicken. Das hängt mit meinem Schöpfungsverständnis zusammen. Für mich steht das zentrale Schöpfungsgedicht in „Sprüche 8“. Dort wird erzählt, dass Gott zunächst ein Gegenüber webt, die tanzende und spielende Frau Weisheit, die ihn zur Schöpfung animiert. Gottesaugenblicke sind deshalb nach meiner Deutung an Orten zu finden, wo Kreativität, spielerische Lebendigkeit und Entwicklungsfähigkeit aufscheinen und Spielräume erschlossen werden, die freilich auf ihre Lebensdienlichkeit hin geprüft werden müssen. Sie ahnen es: Ich plädiere für ein weites Verständnis des Heiligen Geistes, der nicht im Korsett der Trinität eingeschnürt werden darf. Dann wird er asthmatisch. 

Schweigen Sie lieber darüber oder zu wem reden Sie davon?
Ich halte jedes Semester für Studierende der Humanwissenschaftlichen Fakultät eine Vorlesung zu diesem Thema, bei mir Lebenslehre genannt, samt Klausur, die ganz offiziell als Studienleistung anerkannt wird. Da jedes Semester mehr als 400 Studierende kommen, traut man der Theologie also durchaus noch zu, Lebensorientierung zu bieten und Menschen lebensklug zu machen.

Staunen Sie manchmal über Gott?
Ja. Das geht ganz einfach. Ich schaue bei  3sat Tierfilme oder Naturfilme und Länder-Features. Oder ich lese einen Roman der Gattung Nature Writing.

Was hat Gott mit dem religiösen Regelwerk zu tun?
Wir Protestanten neigen dazu, alles auf den ethischen Monotheismus und damit auf gottgebene Regeln hin abzustellen. Das ist für das praktische Leben auch sehr nachvollziehbar. Aber: Das Ritual (selten die Dogmatik) erschließt eigentümliche Erfahrungen, die sonst nicht zu machen sind. In dieser Hinsicht hat der Protestantismus noch Nachholbedarf.

Kann Gott sterben? Und falls ja: Woran?
Ja. Etwa durch das Vergessen, wenn er schleichend aus dem kollektiven Gedächtnis herausfällt. Aktuell wird der Schleier des Vergessens immer dichter. Und zur Erinnerung: An Karfreitag ist Gott als Folteropfer gestorben.

Wenn von Gottes dunklen Seiten gesprochen wird, welche nennen Sie zuerst? 
Inzwischen ist es theologisches Gemeingut: Der biblische Gott macht eine Entwicklung durch, hat also eine eigene Biographie. Das versöhnt (etwas) mit den dunklen Seiten, die mit zunehmender Reifung heller werden. Sodann hat neuere Exegese festgestellt: Die dunklen Seiten Gottes dienten auch der Abgrenzung anderen Göttern gegenüber, um den einen Gott als besonders mächtig darzustellen. Das gehört zu den Marketing-Strategien neuer Religionen und kann entsprechend ohne inhaltlichen Verlust herausgekürzt werden. 

Welche Sätze Jesu mögen Sie besonders, welche übergehen Sie lieber?
Ich habe lange mit der Geschichte „Jesus und die kanaanäische Frau“ gefremdelt, weil Jesus hier eine Demütigung gegenüber einer fremden Frau ausspricht, bis mir die Pointe aufging: Auch Jesus muss eine Selbstbildhinterfragung durchleben. Und: Er hat sie bestanden. Diese Geschichte wohnt inzwischen in meiner linken Herzkammer.

Das Anliegen Jesu: die Welt verbessern, ertragen oder vergessen?
Ohne Wenn und Aber: die Welt mit weisheitlich blankgeputztem Besteck verbessern. 

Welcher Gestalt der Menschheitsgeschichte steht Jesus am nächsten?
Als Weisheitslehrer dem platonischen Sokrates, als Poet dem fabelhaften Jean de La Fontaine und Franz Kafka, als Prediger M.L. King.

Beten Sie lieber zu Jesus oder mit Jesus?
Weil Jesus die leibliche Verdichtung der göttlichen Liebesatmosphäre in einer ganz spezifischen Tönung ist, die ideengeschichtlich als wirkmächtig erfahren wurde, ist er der Gott der Liebe und ich kann nicht nur mit ihm, sondern auch zu ihm beten.

Welche Frage würden Sie Jesus in einem ein Zehn-Minuten-Interview stellen?
Offenbar leidet Jesus gegenwärtig bereits selbst unter Zeitdruck und Verschnellungswahn. Deshalb nur eine Frage: Wie soll man die Kirche reformieren? Und zwei Fragen schiebe ich noch ‚schnell‘ nach: Welcher Jesusfilm gefällt Ihnen am besten? Und: Wen hält Gott auf Michelangelos Fresko im Arm, bitteschön?

Wie erfahren Sie den Geist?
In der protestantischen Theologie ist der Geist heute oft kurzatmig. Wie gesagt: Ich verorte ihn schöpfungstheologisch als Ort von Kreativität, Lebendigkeit und Entwicklungsfähigkeit.

Welche Rolle spielt in Ihrem Sprachgebrauch das Wort „Geist“?
Geist beschreibt für mich die Erfahrung des Neuen. Geisterfahrungen sind Erfahrungen der „Geburtlichkeit“ (Hannah Arendt) im weiten Sinne. Hier eröffnen sich Spielräume (die auch ängstigen können), die ich im Verbund mit anderen mit Lust und kritischem Blick bewohnen kann. 

Mit welchen Worten würden Sie einem Materialisten das Wort „Geist“ erklären? 
Zunächst: Mit dem Kieler Philosophen und Leibphänomenologen Hermann Schmitz ist für mich der spürende Leib der Urresonanzraum. Der Leib reicht aber weiter als der materiale Körper. Denn er kann etwa Atmosphären erspüren, auch Atmosphären in fernen Jahrhunderten, die uns durch Literatur von Rang nahegebracht werden. Dieses „Mehr“, das den Körper zum spürenden Leib hin verlängert, ist der Geist. Paulus hat vom himmlischen Geistleib gesprochen. Der Kieler Philosoph Hermann Schmitz hat den Geistleib ins Diesseits übersetzt. Das ist keine Kleinigkeit.

Neben wem möchten Sie an der himmlischen Hochzeitstafel sitzen?
Die Frage ist verführerisch, weil sie unterschwellig mit Statusehrgeiz spielt (ich sitze neben Platon, Kant, Schleiermacher, Schmitz, yeah!) oder die Sehnsucht nach der eigenen Blase (ich sitze neben Großeltern, Schwägern, Ehefrauen, Kindern, Enkeln, den Vierbeinern) bedient. Ich bin offen für alles.

Was heißt für Sie: einfach leben?
Einfach leben meint: Lebenslust und Lebensfreude, die sich nicht am Status und den Statussymbolen orientiert, die zugleich nicht dem Sicherheitswahn verfällt, sondern optimistisch (ohne naiv zu sein) das Leben im Konzert mit anderen feiert und ziemlich gut führt.

Was ist Ihnen, alles in allem genommen, die Hauptsache?
Für einen Protestanten fällt, wenn es ums Ganze geht, das Stichwort: Freiheit. Gemeint ist eine gemeinschaftstreue Freiheit. Diese Freiheit darf auch durch den Tod nicht festgeschrieben werden, denn andernfalls behielte der Tod das letzte Wort. Der Gedanke der Freiheit drängt darauf, von Festschreibungen in der Geschichte erlöst zu werden, damit final eine versöhnte Freiheit möglich wird. Und weil ich Vertreter einer Phänomenologie der Leiblichkeit bin, kann das für mich nur die ewige Freiheit oder Unsterblichkeit des (Geist)Leibes sein.

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