Wenn äußere Formen der kirchlichen Tradition weniger werden, ist es notwendig, mehr über den Glauben zu sprechen. Wir müssen also auch mit den Kindern und Jugendlichen darüber sprechen, was uns wirklich trägt und was uns der christliche Glaube bedeutet, was er für unser Leben sagt. Es braucht die Reflexion über das, was wir glauben und was uns der Glaube geben kann. Aber mit Kindern kann man nicht theoretisch über den Glauben sprechen. Sie brauchen auch Rituale. Wenn die alten Rituale wegfallen, ist es Aufgabe der Familie, nach neuen Ritualen zu suchen. Kinder sind offen für das Religiöse. Eine gute Gelegenheit, über den Glauben zu sprechen, ist der Besuch einer leeren Kirche. Kinder staunen oft und fragen, was das alles bedeutet: die Heiligenfiguren, das Kreuz, die Bilder, der Altar. Dann sind die Eltern oder Großeltern gefragt, dem Kind den Glauben zu veranschaulichen und die Fragen angemessen zu beantworten. Und es gilt, in der Familie neue Rituale zu schaffen, gleichsam eine neue Tradition zu beginnen, eine Tradition, die uns Halt gibt, die uns Anteil gibt an den Wurzeln unserer Vorfahren, an ihrer Lebenskraft und Glaubenskraft.
An Weihnachten spüren wir zwar, dass viele gerne an die Tradition ihrer Familie anknüpfen, manchmal aber bleibt dies rein äußerlich. Die weihnachtlichen Rituale sollen wir nicht nur um der guten Stimmung willen praktizieren. Wenn wir uns auch ihren Sinn bewusst machen, dann spüren wir, dass sie für uns und für die Kinder heilsam sind.
Erwartung
Gott, wir erwarteten einen Übermenschen – du gabst uns ein kleines Kind.
Wir erwarteten einen Herrscher – du gabst uns einen Bruder.
Wir erwarteten einen Rächer – du gabst uns einen Verfolgten.
Wir waren die Beute des Hasses – und sieh da: die Liebe.
Wir waren in den Krallen der Angst – und da nun: die Freude.
Wir waren im Rachen der Nacht – und da: das Licht!
Unsere Weisen sind zu ihm gegangen mit ihren Schätzen beladen,
aber sie wurden die Beschenkten, die Beglückten.
Mit allen Menschen, die die Nacht absuchen nach Gerechtigkeit,
nach einem Schimmer von Frieden,
mit den Weisen und Gebeugten
begrüßen wir das Unerwartete,
das überraschende Licht,
das Kind.
Maria A.C. Otto, deutsche Philosophin (1918–2005)