Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

wie im Film kamen wir uns vor, als wir in der Redaktion das Bildmaterial für das Titelthema sichteten. Hell ausgeleuchtete Leichen liegen offen auf der Straße, Blut fließt auf den Boden – und wirkt nur deswegen nicht ganz so grauenhaft, weil es auf den Schwarz-Weiß-Fotos lediglich als dunkler Fleck erscheint. Im 20. Jahrhundert ging die Presse meist lockerer mit der Privatsphäre und den Gewaltfolgen um als in der Gegenwart, in der Tote in der Regel nur dezent abgedeckt auf Bildern erscheinen.

Auch die Verbrecher selbst präsentierten sich anders: Während Mafiachefs heute im Verborgenen agieren, allenfalls bei Verhaftungen mal ein Schnappschuss von ihnen erscheint, posierten Bosse wie Lucky Luciano und Al Capone gerne vor den Kameras. Und sie fochten ihre Clan-Streitigkeiten auf offener Straße aus, inszenierten Morde wie das Valentinstag-Massaker von 1929 als regelrechte Spektakel (siehe Beitrag ab Seite 32). Mafia-interne Morde ereignen sich zwar weiterhin, aber Blutbäder wie 2007 in Duisburg (Seite 63) bilden in den USA und Europa nun die Ausnahme: Die Organisationen haben gelernt, dass ihre Geschäfte fern des Radars der Öffentlichkeit am reibungslosesten und profitabelsten ablaufen.

So ist es kein Wunder, dass uns die Zeit von Al Capone als Hochphase der organisierten Kriminalität erscheint: Auch wenn es damals noch keine sozialen Medien gab, blieben er und seine Spießgesellen rund um Chicago und New York bis heute die unübertroffenen Medienstars der Verbrecherwelt.

Ihr

Christian Pantle
Chefredakteur