Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

Was für ein Mensch: Die Haltung königlich, das Profil römisch, das Herz aufrecht und die Seele voller Reinheit. Winnetou, Heiliger und Krieger in Personalunion, überstrahlt alle indianischen Helden der Literatur von James F. Coopers Mohikanern bis Fritz Steubens Tecumseh.

Wer aber über die Naivität der Winnetou-Erzählungen die Nase rümpft, der übersieht, welche Freude die Bücher Generationen von jungen Lesern bereitet haben. Doch Karl Mays erträumte Welt der Indianer verblasst vor der historischen Realität.

Die Kultur der Indianer glich einem kleinen Universum. Allein in Nordamerika gab und gibt es über 60 Sprachfamilien – eine Vielfalt, die kein anderer Kontinent vorzuweisen hat. Auch die nomadische Existenz als Bisonjäger im Grasmeer der Prärie war nur eine von Hunderten Lebensformen. In der Mississippi-Ebene berührten einst Tempelpyramiden den Himmel, während die Irokesen im Norden ihre Langhäuser im Schutze von Palisaden errichteten.

Widerstand war zwecklos! Mit den Siedlern aus Europa kamen nicht nur moderne Waffen, sondern auch tödliche Epidemien. Die meisten Verträge waren nicht ihr Papier wert. Selbst als Indianer sich an die »Zivilisation« anpassten, bot ihnen das keine Chance für die Zukunft, wie das tragische Schicksal der deportierten Cherokee zeigt. Als Karl May 1893 seine Winnetou-Trilogie vollendete, waren auch die Apachen unterworfen und Häuptling Geronimo vegetierte im US-Militärgefängnis. Seine Worte bei der Gefangennahme: »Einst war ich frei wie der Wind«.

Ihr, Euer

Klaus Hillingmeier
Chefredakteur