Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

der Sieger schreibt die Geschichte, heißt es treffend. Wahr ist aber auch: Niederlagen schreiben oft die besten Geschichten – jedenfalls die entlarvendsten, denn dahinter stehen bisweilen unglaubliche Fehlplanungen und peinliche Missgeschicke, die so manchen vermeintlich Großen vom Sockel geholt haben. Solche „Historischen Pleiten“ bringen wir in unserer neuen Rubrik ans Licht: Immer am Heftschluss schildern wir eine kleine Episode, die vielleicht mehr verrät über die menschliche Natur und Gesellschaft als die heroischen Taten, die im Fokus der traditionellen Geschichtsschreibung stehen.

Den Anfang der Pleitenserie macht auf Seite 82 Schwedenkönig Gustav II. Adolf, der Onkel unserer Titelfigur: des Brandenburger Kurfürsten Friedrich Wilhelm, der vor 400 Jahren zur Welt kam, sich zum souveränen Herrscher über Preußen aufschwang und den Titel „der Große“ erwarb. Aber war er auch ein Großer der Geschichte? Die Diskussion darüber wird befeuert durch eine Biografie des Historikers Jürgen Luh, die dieses Jahr unter dem Titel „Der Große Kurfürst – Sein Leben neu betrachtet“ im Siedler Verlag erschien: „Es gibt nichts, wodurch er sich besonders hervortut“, kanzelt Luh den Kurfürsten ab. „Dass er am Ende nicht alles verliert, hat er mehr dem Unglück der anderen als der eigenen Leistung zu verdanken.“

Dieser pauschalen Herabwürdigung widerspricht die Biografin Barbara Beuys im Interview ab Seite 20. Friedrich Wilhelm war ein Mensch voller Widersprüche, gefangen im Spannungsfeld von Mittelalter und Moderne, aber was er für sein Land erreichte, lag nicht nur an den historischen Pleiten der anderen. Sondern wohl auch an seiner Beharrlichkeit und der Fähigkeit, guten Rat anzunehmen: von den Experten und den starken Frauen in seinem Umfeld.

Ihr, Euer

Dr. Christian Pantle
Chefredakteur