Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

420 Zentner Gold und 1000 Frauen. In der Bibel sprengt König Salomo alle Dimensionen. Doch erstaunlicherweise haben die ägyptischen Schreiber von dem „Superkönig“ in ihrer Nachbarschaft keine Kenntnis, und auch archäologische Indizien für eine salomonische Bautätigkeit fehlen. David und Salomo mögen historische Gestalten sein, aber ihr Großreich ist rückwärtsgewandte Fiktion. Der Theologe und Ägyptologe Bernd Schipper geht davon aus, dass die späteren Reiche Juda und Israel nie eine staatliche Einheit bildeten.

Die Bibel wird von den Verlierern geschrieben. Babylonier, Perser und Griechen unterwerfen das Land zwischen Sinai und Jordan. Unter dem Druck dieser Imperien verdichten sich der Glaube an den Gott Abrahams und die Idee einer jüdischen Auserwähltheit. Als mit den Makkabäern ein Intermezzo der Freiheit anbricht, regieren mit den Hasmonäern Männer, die Hohepriester und Herrscher in einer Person sind. Das nächste Joch der Juden heißt Rom, und auf den Flügeln des römischen Adlers kommt Herodes der Große an die Macht.

Der Kindermörder des Matthäus-Evangeliums ist eine Marionette mit zwei Köpfen: In Caesarea mimt er den hellenistischen Weltbürger, während er in Jerusalem ein frommes Gesicht aufsetzt. Sein ehrgeiziger Umbau des Tempels zu Jerusalem überlebt nicht die Apokalypse, als die Legionäre Roms 70 n. Chr. Jerusalem brandschatzen. Die jüdische Welt liegt in Trümmern – Gott wird nicht mehr in einem Tempel verehrt, sondern in den Zeilen der Thora gesucht.

Ihr, Euer

Dr. Klaus Hillingmeier
Chefredakteur