Editorial

„Scramble for Africa“ — „Wettlauf um Afrika“ nennt die Londoner „Times“ am 15. September 1884 die Jagd der europäischen Mächte nach kolonialem Besitz auf dem Kontinent; „to scramble“ könnte man auch mit „etwas zerhacken“ übersetzen. 1914, am Vorabend des Ersten Weltkrieges, werden Großbritannien, Frankreich, Belgien sowie das Deutsche Kaiserreich den ganzen Kontinent in mundgerechte Stücke zerteilt haben – oft mit willkürlichen Grenzen ohne Rücksicht auf die Siedlungsgebiete der einheimischen Bevölkerung.

„Heart of Darkness“ — „Herz der Finsternis“ betitelt 1899 der Romancier Joseph Conrad seine Novelle, in der er seine Erlebnisse als Flusskapitän auf dem Kongo verarbeitet. Conrad führt den Leser in einen Dschungel aus weißer Gier und schwarzem Leiden. Das Grauen ist Realität: Um die Sucht nach Luxus des belgischen Königs Leopold II. zu befriedigen, sterben mindestens 10 Millionen Kongolesen. Aber auch in allen anderen Kolonien ist „Zivilisation“ ein Euphemismus für Bevormundung, Ausbeutung und Unterdrückung.

„Negerrevolten“ ist das Schimpfwort für die Aufstände der einheimischen Bevölkerung von den Herero in Namibia bis zu den Kikuyu in Kenia. Die Antwort der weißen Herren lautet Härte bis zum Völkermord. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kommt die nationale Freiheit, doch es bleiben unangenehme Fragen: Welche Schuld trägt die Kolonialzeit an der gegenwärtigen Misere des Kontinentes? Welche Entschädigungen wären angemessen? Und welche Klischees und Vorurteile gegenüber Afrikanern haben in Europa bis ins 21. Jahrhundert überlebt?

Ihr, Euer

Dr. Klaus Hillingmeier
Chefredakteur