Die blutige Geburt einer neuen Welt
Neben Inquisition und Hexenverbrennung gehören die Kreuzzüge zum festen Repertoire aller Kirchenkritiker. Ein ungerechtfertigter Angriff auf die islamische Welt seien die Feldzüge gewesen, und zwei lange Jahrhunderte hätten die „Franken“ die einheimische Bevölkerung in den Kreuzfahrerstaaten geknechtet. Aber wer von diesen Kritikern hat von der Schlacht von Manzikert gehört? 1071 hat in Ostanatolien der Seldschukensultan Alp Arslan das Heer der Byzantiner vernichtend geschlagen. Kleinasien ist nun Beute der Türken, und die Tage Konstantinopels scheinen gezählt. Es folgt ein Hilferuf des byzantinischen Kaisers an den Westen.
Die Eroberung von Jerusalem 1099 ist brutal und steht im absoluten Widerspruch zu den religiösen Prinzipien, auf die sich die Kreuzritter berufen. Aber viele der geschilderten Gewaltorgien sind erstaunlicherweise bewusste Übertreibungen der christlichen Chronisten. Für Muslime und Juden wird Jerusalem zur Verbotszone erklärt, ansonsten erweisen sich die neuen Herren aus dem Westen als äußerst moderat gegenüber ihren beschnittenen Untertanen.
Die Mehrheit der einheimischen Bevölkerung sind jedoch Christen, die sich schnell mit den „Franken“ arrangieren. Anders als im Westen herrscht pragmatische Toleranz in religiösen Fragen. Mischehen bis in höchste Kreise sind an der Tagesordnung, und die orientalischen Hilfstruppen bilden einen Eckpfeiler der Verteidigung. Die Kreuzfahrerstaaten sind kein Utopia, aber ein Forum des kulturellen Dialoges und der Synthesen – eben eine neue Welt.
Ihr, Euer
Dr. Klaus Hillingmeier
Chefredakteur