Jenseits von Gut und Böse
2006 durfte ich unsere Leserreise durch Syrien begleiten. Wir besuchten die Zitadelle von Aleppo sowie die Große Moschee von Damaskus mit dem Grab Saladins. Unser Reiseleiter war ein kultivierter junger Mann mit großem Interesse an Geschichte. Mit Verblüffung stellte ich fest, wie sehr ihn das Thema Kreuzzüge bewegte. Er schwärmte von Saladin und hielt die Kreuzritter für Barbaren, die über Jerusalem und das Heilige Land hergefallen seien. Als ich ihn darauf hinwies, dass bis zur arabischen Expansion im 7. Jahrhundert Palästina und Syrien blühende Klosterlandschaften gewesen waren, antwortete er mit ablehnendem Schweigen – dass der Islam durch das Schwert nach Jerusalem gekommen ist, wollte er nicht gelten lassen. Doch Geschichte ist selten schwarz-weiß.
Ein Blick in die Chroniken der Kreuzzüge offenbart eine Vieldeutigkeit: Friedrich I. Barbarossa erpresst den christlichen Kaiser von Byzanz, und Sultan Saladin führt mehr Kriege gegen seine Glaubensgenossen als gegen die Christen. König Richard Löwenherz ist zwar ein heldenhafter Heerführer, aber auch ein Mann ohne Skrupel. Der Verteidiger von Jerusalem, Balian von Ibelin, erweist sich zugleich als ein Deserteur. Und ausgerechnet der vermeintliche Erzschurke Rainald von Chatillon rettet 1177 das Überleben des Königreiches Jerusalem um ein weiteres Jahrzehnt. Gerade diese vielen Grautöne machen das Faszinosum Kreuzzüge aus.
Ihr, Euer
Dr. Klaus Hillingmeier
Chefredakteur