Liebe Leserin, lieber Leser,
wussten Sie, dass Miguel de Cervantes fünf Jahre lang als Sklave in Nordafrika vegetierte, bevor er seinen weltberühmten Romanhelden Don Quijote gegen Windmühlen kämpfen ließ? Dass er nur einer von rund 3,7 Millionen Europäern war, die in der Neuzeit, also seit 1500, versklavt wurden? Dass weite Küstenabschnitte in Italien menschenleer waren, weil die Bewohner aus Angst vor den Sklavenjägern ihre Dörfer am Meer verließen?
Das millionenfache Leid der „weißen Sklaven“ – den Begriff prägte der US-Senator und Anti-Sklaverei-Kämpfer Charles Sumner 1847 – ist heute weitgehend vergessen. Es wird im Geschichtsunterricht allenfalls am Rande gestreift, in Büchern kaum thematisiert. Mein Verdacht ist: Dass Europäer nicht die Täter sind, sondern ohnmächtige Opfer, passt weder in das rechte Narrativ von der überlegenen europäischen Zivilisation noch in das linke Narrativ von der europäischen Unterdrückung der anderen Völker. Und wird daher allseits ignoriert.
Dabei ist kaum ein Thema so gut geeignet, den Menschen hier nahezubringen, was eine Versklavung für die Betroffenen bedeutet und was für ein Horror die Institution Sklaverei ist. Denn für die einzelne Person war es gleich, ob sie aus einem Dorf in Westafrika als Sklave nach Amerika verschleppt wurde oder aus einem Dorf in England nach Nordafrika.
Ihr
Dr. Christian Pantle
Chefredakteur