Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Zeit des Nationalsozialismus ist gut erforscht. Gleichwohl hat mich bei der Konzeption dieser Ausgabe überrascht, welche neuen Einsichten sich noch immer gewinnen lassen. Und es sind keine kleinen, wie mir der Historiker Daniel Siemens im Interview ab Seite 20 darlegte. Als Verfasser eines Standardwerks zur Sturmabteilung (SA) widerspricht Siemens etwa der weiterhin verbreiteten Annahme, die Truppe sei nach dem Röhm-Putsch 1934 in der Bedeutungslosigkeit versunken und habe keine Rolle mehr gespielt. Zudem ist das Bild vom typischen SA-Mann heute deutlich nuancierter als noch vor wenigen Jahren.

Auch abgesehen von aktuellen Debatten um verbotene Wahlkampfsprüche gibt es also gute Gründe, sich mit der SA und der aus ihr entwachsenen Schutzstaffel (SS) zu befassen – zumal diese beiden paramilitärischen Organisationen erst Adolf Hitlers Weg zur Kanzlerschaft freiprügelten und bald darauf seine verbrecherischen Pläne umsetzten. Ohne sie hätte er weder zum „Führer“ der Deutschen aufsteigen noch den Kontinent ins Verderben stürzen können. Sie waren seine Machtbasis. Gerade weil er Millionen so loyaler wie gewaltbereiter Antisemiten in der SA und SS hinter sich wusste, konnte er seine Terrorherrschaft umsetzen. Dass wir heute das Gewaltmonopol des Staates verteidigen, ist eine der Lehren aus jener Zeit.

Ihr

Dirk Liesemer
Redakteur