Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

einen Brexit gab es nicht nur 2020, sondern schon 1534. Damals erfolgte der „British exit“ (britische Austritt) nicht aus einer Staatengemeinschaft, sondern aus einer viel älteren und mächtigeren Organisation, der römisch-katholischen Kirche. Und es war streng genommen nur ein englischer Austritt, dafür aber mit großem langfristigen Erfolg: Die neu geschaffene anglikanische Kirche hat heute – auch dank des Kolonialismus – weltweit mehr als 80 Millionen Anhänger.

Das ist umso erstaunlicher, als der Ursprung dieser Konfession so gar nichts Heiliges oder Heldenhaftes an sich hat: Der König will eine neue Frau, und weil der Papst das nicht genehmigt, ordnet er eine neue Kirche an – mit sich selbst als Oberhaupt. Taugt so etwas Profanes für einen Gründungsmythos? Denken Sie zum Vergleich etwa an den Beginn des Protestantismus in Deutschland mit Luthers Thesenanschlag in Wittenberg 1517 und seinem Ausspruch vor dem Reichstag in Worms: „Hier stehe ich und kann nicht anders!“ Auch wenn Letzteres nur Legende ist, sind es doch bildstarke, beeindruckende Anekdoten.

Dass die anglikanische Kirche sich durchsetzt, war denn auch lange Zeit alles andere als klar. Es rollten viele Köpfe und brannten viele Scheiterhaufen, bis sie sich etablierte. Wie Sie in dem Heft lesen können, gab es unter den Tudor-Herrschern von Heinrich VIII. über Maria I. bis Elisabeth I. wohl kaum einen gefährlicheren zivilen Beruf, als Geistlicher zu sein.

Ihr

Dr. Christian Pantle
Chefredakteur