Editorial

„Von Zeit zu Zeit braucht jeder Mensch ein bisschen Wüste“, bemerkte der schwedische Forscher Sven Hedin. Doch wenige Wüsten sind unwirtlicher als die erbarmungslose Taklamakan zwischen China und Mittelasien. An ihren Rändern entdeckten Hedin und seine Nachfolger aber Oasen voller Wunder: majestätische Statuen Buddhas, farbenprächtige Wandmalereien vergessener Religionen und Höhlenbibliotheken, überbordend mit Schriftrollen. Zeugnisse von Jahrhunderten des Kulturaustausches entlang der Seidenstraße.

Serer — Seidenmenschen — nannten die Römer die Chinesen. Der exquisite Seidenstoff versprach Erotik und war am Tiber heiß begehrt. Gedüngt mit römischen Denaren, erblühte der Fernhandel mit China. Die Routen der Seidenstraße dienten auch als Heerweg der Imperien. Mit brutaler Härte und militärischem Genie unterwarfen sich Dschingis Khan und Timur (Tamerlan) die Reiche und Städte zwischen Persien und China. Später wurde die Region Kampfbahn des „Großen Spieles“ zwischen Russland und Großbritannien um die Vorherrschaft in Asien.

Der „russische Bär“ schluckte weite Teile Mittelasiens mit dem Leckerbissen Samarkand, während ein kraftloses China zum Spielball der europäischen Großmächte sowie Japans verkam. Jetzt ist der schlafende Drache wieder erwacht. Unter dem Motto „One Belt, One Road“ (ein Gürtel, eine Straße) soll nach dem Willen Pekings eine neue Seidenstraße zum wirtschaftlichen Rückgrat Eurasiens avancieren – zugleich Chance und Herausforderung für Europa.

Ihr, Euer

Klaus Hillingmeier
Chefredakteur