Liebe Leserin, lieber Leser,
„Der Tod eines Einzelnen ist eine Tragödie, der Tod von Millionen nur Statistik“, lautet ein zynischer Spruch, der häufig Stalin zugeschrieben wird – wohl zu Unrecht, denn es lässt sich keine glaubhafte Quellenangabe dafür finden. Dass die Anekdote trotzdem bis heute kolportiert wird, zeigt, wie gut sie zu Stalin zu passen scheint. Allerdings nur auf den ersten Blick.
Bloße Statistik waren für Stalin nämlich nicht nur seine Millionen anonymen Opfer, sondern auch die Einzelnen aus seinem Familien- und Bekanntenkreis. Der Diktator unterschrieb nicht nur eigenhändig Hunderte Listen mit insgesamt 44 000 Todesurteilen, sondern es scheint ihm geradezu sadistische Freude bereitet zu haben, Menschen aus seinem persönlichen Umfeld auf die Todeslisten zu setzen.
Eine trostlose Reise in das Herz der Finsternis war es daher für uns in der Redaktion, als wir uns bei den Recherchen für dieses Heft intensiv mit dem Werdegang Stalins befassten. Wenn wir über die Personen lasen, die ihn auf seinem Weg nach oben begleiteten, die ihn als Freunde, Schwager, Mitverschworene unterstützten, dann endeten deren Geschichten regelmäßig damit, dass sie entweder frühzeitig starben – oder irgendwann während Stalins Herrschaft auf dessen Befehl hin erschossen wurden. Der rote Diktator war nicht nur ein Massenmörder, er war auch ein Serienmörder, der in seinem Umfeld immer wieder zuschlug. Und der nach einem Schlaganfall schließlich ein Opfer seiner eigenen Schreckensherrschaft wurde. Mehr Trost gibt es leider nicht.
Ihr, Euer
Dr. Christian Pantle
Chefredakteur