Mehr als ein Geburtstagsfest

In den verschiedenen liturgischen Feiern von Weihnachten offenbart sich die wahre Bedeutung dieses Festes – jenseits des Kindes in der Krippe.

Von der Bedeutung des Weihnachtsfestes haben viele zumindest eine Ahnung: „Da feiern wir den Geburtstag von Jesus.“ Das wissen auch viele Kinder. Und zu einem Geburtstag gehören natürlich Geschenke; allerdings wird hier nicht das Geburtstagskind selbst beschenkt, sondern alle, die dieses Fest mitfeiern. Da deutet sich schon an, dass der Vergleich mit einem Geburtstagsfest, der nicht nur in Kindergottesdiensten an Heiligabend gerne herangezogen wird, nur einen Aspekt des Weihnachtsfestes herausgreift.

Ein relativ junges Fest

Wer die Gottesdienste an Weihnachten aufmerksam mitfeiert oder sorgsam vorbereitet, wird entdecken, dass von der Geburt Jesu in den liturgischen Gebeten und biblischen Lesungen dieser Tage relativ wenig gesprochen wird. Und wer zwar über den Festinhalt gut Bescheid weiß, wird wahrscheinlich sehr erstaunt sein, dass die Christen mehr als drei Jahrhunderte brauchten, bis sie zum ersten Mal Weihnachten feierten. In den ersten Jahrhunderten kannten die Christen außer dem Sonntag und der jährlichen Osterfeier kein weiteres Christusfest. Erst im 4. Jahrhundert setzte sich die Tendenz durch, den Inhalt der jährlichen Pascha-Feier – der Feier von Tod und Auferstehung des Herrn – zu entfalten, das Leben Jesu historisierend und nachahmend darzustellen und einzelne Teilaspekte zu feiern. Ein römischer Kalender aus dem Jahr 354 belegt erstmals die Feier von Weihnachten am 25. Dezember 336. Das Datum des 25. Dezember, das keinen biblischen Anhaltspunkt hat, lässt sich wohl am ehesten als Reaktion der Christen auf das römische Staatsfest des Natalis Solis invicti erklären, das Geburtsfest des unbesiegten Sonnengottes. Für die Christen ist Jesus Christus das „Licht der Welt“, die „Sonne der Gerechtigkeit“.

Ohne Lieder wie „Stille Nacht“ und „O du fröhliche“ können sich viele die Feier von Weihnachten nicht vorstellen. In den meisten Liedern und im weihnachtlichen Brauchtum steht das neugeborene Kind in der Krippe im Mittelpunkt. In idyllischen Szenarien wird der „holde Knabe im lockigen Haar“ oder das „Kindelein so zart und fein“ besungen. Leicht gerät dabei in Vergessenheit, dass auch Weihnachten ein Fest unserer Erlösung ist – wenn auch nicht wie an den Drei Österlichen Tagen das Leiden, Sterben und Auferstehen, sondern die Menschwerdung des Herrn im Vordergrund steht.

Die weihnachtlichen Gottesdienste

Während zu Ostern die nächtliche Liturgie der Osternacht die liturgische Hauptfeier bildet, ist an Weihnachten der ursprüngliche Hauptgottesdienst die Eucharistiefeier am Vormittag des 25. Dezember. Die nächtliche Christmette hat sich erst etwas später als Gegenstück zur Osternacht entwickelt. Es ist daher sinnvoll und entspricht der Liturgie durchaus, die Eucharistiefeier am ersten Weihnachtstag ebenso festlich wie die Christmette zu gestalten, da der Charakter dieser beiden Gottesdienste ganz unterschiedliche Akzentsetzungen aufweist.

Die abendliche oder nächtliche Feier der Christmette ist geprägt von der bekannten Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium (Lk 2,1-14). Aber schon die alttestamentliche Lesung aus dem Buch Jesaja (Jes 9,1-6) weist über die Geburt des göttlichen Kindes weit hinaus und entfaltet seine Bedeutung für die ganze Welt: „Die Herrschaft liegt auf seiner Schulter; man nennt ihn: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens. Seine Herrschaft ist groß und der Friede hat kein Ende“ (Jes 9,5f.). Das Eintreten Gottes in die Welt ist – wie es der Titusbrief sagt – zur Rettung der Menschen geschehen und will in ihrem Leben konkrete sichtbare Wandlungen bewirken, damit sie „besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben“ (Tit 2,12).

Das Gabengebet bittet darum, durch diese Feier, die als „wunderbarer Tausch“ beschrieben wird, Christus gleichgestaltet zu werden, „in dem unsere menschliche Natur mit deinem göttlichen Wesen vereint ist“.

Spätestens die Liturgie der Messe „Am Tag“ führt endgültig weg von jeder vordergründigen Weihnachtsidylle. Außer im Eröffnungsvers, der wohl eher in seiner lateinischen Choralfassung als Introitus Puer natus est nobis bekannt ist und die Worte aus der Jesaja-Lesung der Christmette (Jes 9,5) noch einmal aufgreift, kommen das Kind in der Krippe, erst recht nicht seine Mutter Maria und ihr Mann Josef, in den Texten der Liturgie überhaupt nicht vor. Das Tagesgebet thematisiert den Sinn des gesamten Erlösungswerkes Christi, durch das der Mensch in seiner Würde noch wunderbarer gestaltet wurde als in der Schöpfung, und bittet: „Lass uns teilhaben an der Gottheit deines Sohnes, der unsere Menschennatur angenommen hat.“ Auch der Ruf vor dem Evangelium spricht vom „Tag der Erlösung“, der aufs Neue aufgeleuchtet ist. Das Kommen Gottes bedeutet für sein Volk Trost und Erlösung (vgl. Jes 52,9), so heißt es in der alttestamentlichen Lesung, die wiederum aus dem Buch Jesaja entnommen ist.

In großen Worten verkündet dann der Prolog des Johannesevangeliums das Geheimnis der Weihnacht als Inkarnation des göttlichen Wortes: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott (...). Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit gesehen“ (Joh 1,1.14). Durch dieses Wort ist die Welt erschaffen, es hat uns den Zugang zur Lebensfülle Gottes eröffnet. Durch ihn, der der Heiland der Welt ist, „sind wir wiedergeboren zum göttlichen Leben“ (Schlussgebet).

Weihnachten ist also weitaus mehr als die Feier eines Geburtstagsfestes: Es ist wie Ostern die Feier unserer Erlösung und nur als Teil des einen Pascha-Mysteriums – der Erniedrigung und Erhöhung des Gottessohnes zum Heil der Menschen – in seinem vollen Sinngehalt zu erfassen.

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