In diesen Zeiten der Krise, der Erneuerung und der Reform in der Kirche gibt es seitens der Hierarchie viele Vorschläge, wie man damit in der Liturgie und im Gebet umgehen soll: Gebete um Sühne, Wiedergutmachung, Umkehr, Heilung und so weiter. Aber sind das die richtigen Gebete für die richtigen Menschen zur rechten Zeit? Das wirft einige Fragen auf.
Erstens: Wer muss Buße tun? Wer muss fasten? Wer muss mehr beten? Alle? Die Kleriker? Die Bischöfe? Laien (oder auch Priester) aufzufordern, für Sünden Abbitte zu leisten und Dinge zu bereuen, die sie gar nicht getan haben, sorgt für Verwunderung und Ablehnung. Gebete müssen zu den Gegebenheiten passen und auf Gefühle Rücksicht nehmen. Wenn es denn eine Rechtfertigung dafür gibt, dass Laien fasten und Buße tun aufgrund der Gemeinschaft aller Glieder des Leibes Christi, dann muss dieser Grund auch gut durchdacht und nachvollziehbar erklärt werden.
Zweitens: Wofür beten wir? Die Erlösung von allen Sünden hat Gott für uns schon ein für alle Mal erreicht – am Kreuz. Welche Worte und Begriffe drücken unsere Antwort auf Gottes Gnadenhandeln richtig aus, ohne in den Irrglauben zu verfallen, dass der Mensch sich selbst retten könnte?
Drittens: Welche Gebetsweisen sind im alltäglichen Glauben und der Glaubenspraxis der Gläubigen so verwurzelt, dass sie auch das ausdrücken, was die Menschen bewegt und sie als Leib Christi vereinigt? Welche Gebete sind eng und einseitig, sind nur Ausdruck einer bestimmten Spiritualität oder einer ideologischen Agenda? „Traditionelle“ Andachtsformen Menschen aufzuerlegen, die damit nichts anfangen können, kann die Einheit und die Erneuerung der Kirche gefährden. Im schlimmsten Fall ist es ein Ausdruck des herablassenden Mangels an Sensibilität, der auch zu dieser Krise beigetragen hat.
Viertens: Wann ist Gebet eine Begegnung mit dem lebendigen Gott, der uns zu gerechtem Handeln bewegt? Und wann führt es stattdessen auf eine falsche Spur und ist bloß Ablenkung? Menschliche und politische Wirklichkeiten zu spiritualisieren, ist nicht immer etwas Gutes. Auch von Herzen kommende Entschuldigungen, Reuebekundungen und öffentliche Bußakte können so wahrgenommen werden, als ginge man damit zu schnell über die Probleme hinweg, ohne Verantwortung zu übernehmen. Im schlimmsten Fall sehen solche Handlungen wie Strategien zum Machterhalt und zum Wegschieben von Verantwortung aus.
Fünftens: Wer erkennt am besten, welche Gebete die Kirche braucht? Bischöfe müssen ihren Priestern nahe sein, Pfarrer ihren Gemeinden. Eine sorgfältige Unterscheidung, welches Gebet angemessen ist, ist notwendig. Von oben auferlegte Pflichten drohen eher zu spalten als zu einen.
Problematische Formen von oben
Hier in den USA werden beispielsweise bestimmte Formen vorgeschlagen, die ich für problematisch halte. Eine davon ist das Gebet zum Erzengel Michael, das zwischen 1886 und 1964 nach der „Stillen Messe“ gesprochen wurde. Natürlich: Wir brauchen die Fürsprache des Erzengels und der Heiligen, um dem Bösen zu widerstehen. Das Michaelsgebet gehört zu meinem Gebetsleben. Aber die Kirche braucht keine vorkonziliaren Andachtsformen, die – ohne das zu wollen – die Illusion befördern könnten, dass es vor den 1960er-Jahren keine ernsten Probleme mit Missbrauch durch Priester und Vertuschung durch Bischöfe gegeben hätte. Die liturgischen Reformen der 1960er haben zu Recht der Liturgie den Vorrang gegenüber anderen Andachtsformen gegeben. Sollten wir dann nicht auch besser wichtigere liturgische Quellen heranziehen? Haben wir nichts besseres vorzuweisen nach einem halben Jahrhundert liturgischer Erneuerung?
Ein anderes Beispiel sind die Quatembertage, die alten Fasttage im Kirchenjahr. Haben die irgendeine Bedeutung für heutige Katholiken? Hat irgendjemand unter 60 Jahren je davon gehört? Ich selbst finde es bedauerlich, dass die Quatember nach dem Zweiten Vatikanum in den USA nicht beibehalten wurden. Aber es ist nun einmal so, dass sie abgeschafft wurden. Warum sie also jetzt wieder einführen? Ist das etwas, das den Laien hilft? Oder ist das etwas, das wegen Teilen der Hierarchie wiederkommen soll? Wünschen sich manche von ihnen insgeheim in frühere, einfachere Zeiten zurück? Das ist gewiss nicht die Einstellung, mit der die Hierarchie die anstehenden Probleme angehen sollte.
Was der Papst und die Bischöfe jetzt wohl am meisten von uns brauchen, sind eindringliche Gebete zum Heiligen Geist. Sie stehen vor der wenig beneidenswerten und schier unmöglichen Aufgabe, institutionelle Reformen anzustoßen, von denen noch niemand weiß, wie sie aussehen könnten. Die Verantwortlichen brauchen dafür Mut, Weisheit, Kreativität, Feingefühl. In genau solchen Situationen, wenn völlig unklar ist, wie es vorangehen kann, lenkt der Heilige Geist die Herzen, entflammt Sinne und Gemüt und erfüllt uns mit seiner Kraft. Aus dem Heiligen Geist strömt, so heißt es im Hymnus Veni, Creator Spiritus, Leben, Licht und Glut, er gibt den Schwachen Kraft und Mut.
Wenn die Bischöfe uns bitten würden, darum zu beten, dass der flammende, ungeduldige, aufwiegelnde, neu erschaffende, tröstende, liebende Geist auf sie niederkomme, würde das einiges bedeuten: dass sie nicht alle Antworten haben und göttlichen Beistand brauchen. Dass sie die Unterstützung der ganzen Kirche brauchen. Dass sie an die Zukunft denken statt in der Vergangenheit verhaftet zu bleiben. Dass sie nicht wissen, was die Zukunft bringt. Dass sie für alles offen sind, was der Heilige Geist bringt. Und dass sie ihre Hoffnung in Gott legen, der oft überraschend, aber immer treu ist.
Lasst uns beten für die Erneuerung der Kirche
Wir haben in unserer Liturgie viele Arten, den Heiligen Geist anzurufen: den Hymnus Veni, Creator Spiritus und seine Übersetzung „Komm, Heilger Geist, der Leben schafft“ etwa oder die Pfingstsequenz und den Taizégesang Veni Sancte Spiritus. Solche Lieder könnten nach den Fürbitten oder als Schlusslied gesungen werden.
Auch Orationen aus den Votivmessen vom Heiligen Geist wären möglich. Nach der Liturgiereform sind zusätzliche Orationen nach dem Tagesgebet nicht mehr vorgesehen. Aber unter diesen Umständen wäre es vielleicht angemessen, das doch dort oder nach dem Gebet nach der Kommunion zu tun und mit den Worten „Lasst uns beten für die Erneuerung der Kirche“ das Gebet zum Heiligen Geist einzuleiten.
Auch wenn diese einfachen Vorschläge noch sorgfältig von vielen diskutiert werden müssen, bevor sie eventuell umgesetzt werden: Es ist sicher sinnvoll für uns alle, für die Bischöfe zu beten. Sie brauchen es, und ich bin mir sicher, sie schätzen es. Komm, Heiliger Geist!
Übersetzung: katholisch.de / Felix Neumann. Der Artikel erschien ursprünglich im Blog „Pray Tell“.