voll Gott: 20 Jahre Gemeindebildung in Aschaffenburg

Markus Krauth (Hg.): voll Gott. Maria Geburt Aschaffenburg, Regensburg: Verlag Schnell & Steiner 2019; 176 S.; 19,50 €; ISBN 978-3-7954-3456-4

Raumlichtung (1999) – laetitia vacui („Freude an der Leere“, 2009) – voll Gott (2019): Drei Buchtitel beschreiben zwei Jahrzehnte Erfahrungen einer Gemeinde unter der Leitung ihres Pfarrers Markus Krauth mit ihrem vom österreichischen Künstler Leo Zogmayer (Wien) konsequent umgestalteten, ehemals neugotischen Kirchenraum. Heute ist die zwar schon seit der Klassischen Moderne bekannte „heilige Leere“ (St. Fronleichnam, Aachen, 1930) aus prominenten Kirchenräumen vertraut, vor 20 Jahren war sie fast eine Revolution. Nach wie vor stellt sie aber eine Herausforderung dar: Wie füllt man einen gelichteten Raum? Gelingen kann dies nur, wenn sich eine Gemeinde mit der Kirchenraumsanierung buchstäblich auf den Weg macht. Dazu braucht es den freien Raum, der nicht ständig den Blick und den Weg verstellt und den Charismen in der Gemeinde freies Spiel lässt. Diese müssen freilich entdeckt und zugelassen werden.
Die vielfältigen Stimmen, die in dem Band zu Wort kommen, und die zahlreichen Abbildungen zeugen von einer spielerischen Kreativität, die aber keineswegs beliebig ist. Sie dient vielmehr der Wirksamkeit der Zeichen, die Ausdruck gott-menschlicher Kommunikation sind, der Liturgie als „Heiligem Spiel“. Jedes Detail ist durchdacht, keines, auch nicht das kleinste, der Beliebigkeit überlassen. Dies würde in einem gelichteten Raum auch gleich als Störfaktor wirken. So entsteht im Zusammenspiel aller beteiligten Personen und Faktoren jene „Stimmigkeit“, von der in dem Band immer wieder die Rede ist.
Der hohen künstlerischen Qualität des Raums entsprechen die liturgischen Gefäße und Gewänder, aber auch die Kirchenmusik. Die hohe Variabilität, die das schrittweise Ergebnis der Erfahrung mit dem Raum durch die Zeit hindurch ist, ermöglicht vielfältige Formen des Sich-Versammelns im Lauf des Kirchenjahres, die die einzelnen Festzeiten und -anlässe zu einprägsamen Erlebnissen werden lassen. Eingestreut in die Erfahrungsberichte sind reflexive Beiträge von Autorinnen und Autoren unterschiedlicher Kompetenz. Gewiss ist die „soziale Plastik“ der Pfarrei in Aschaffenburg eine Ausnahmeerscheinung, doch ist das Buch gerade deshalb wegen seiner vielfältigen Inspirationen allen zu empfehlen, die mit dem Status quo einer Kirche auf dem Rückzug nicht einverstanden sind.
Prof. em. Dr. Albert Gerhards, Bonn

Zum Pfingstgottesdienst in der Pfarrei Maria Geburt in Aschaffenburg:
„Vor dem Festgottesdienst bedeckt im Innenraum des Stuhlringes ein leuchtend rotes 3,5 x 5 m großes Tuch eine unförmige Masse am Boden. Unbewegt wie ein Klumpen liegt da ein rätselhaftes Gebilde. Es scheint kein Leben drin zu sein. Allmählich kommt doch etwas Bewegung auf. Der verhüllte Körper beginnt langsam seine Form zu ändern, Menschenkörper werden erkennbar, richten sich unregelmäßig auf, das Tuch wölbt sich immer mehr, bekommt ein größeres Volumen bis das Ganze anfängt wie ein Herzmuskel zu pulsieren. Eine singende Stimme erklingt durch das Tuch. Die Orgel fängt an, sachte zu begleiten. Beine und Arme werden sichtbar. Das Tuch steigt langsam höher, wird nach allen Seiten zu einem Viereck gespannt und bewegt sich zur Mitte des Raumes.
Schwebend kreist es über dem Altartisch, kommt wieder zum Stehen. Es wird mehrmals unter dem Gesang der Gemeinde nach oben und unten gezogen. Dabei entstehen stärker werdende Windböen, die wellenförmig sich in den gesamten Raum ausbreiten. Alle spüren den Wind. Das Tuch beruhigt sich wieder, steht hochgehalten – still. Plötzlich fällt es in freiem Fall. Es beginnt ein Schauspiel unkalkulierbaren Gleitens, Segelns, Windens bis der große, rote Stoff den Altar berührt und sich am Boden niederlässt. Wie es fällt, so liegt es. Der Geist weht, wo er will. Der Altar verschwindet ganz im Rot des Feuergeistes – einzigartig, wunderbar.“
(aus: voll Gott, S. 157)