Besonders bei Friedensgebeten oder Andachten beliebt ist das „Gebet der Vereinten Nationen“, das vor allem im deutschsprachigen Raum durch seine Veröffentlichung im „Gotteslob“ (GL 20,1) große Bekanntheit erlangt und Verbreitung gefunden hat. Wie im GL von 1975 fehlen auch im aktuellen katholischen Gebet- und Gesangbuch Angaben zum Autor und zur Entstehung des Gebets, sodass dem Missverständnis Vorschub geleistet wird, es handele sich um einen offiziellen Text der Vereinten Nationen.
Dies ist jedoch nicht der Fall: Das Gebet entstand bereits 1942, also wenige Jahre vor der eigentlichen Gründung dieser internationalen Organisation im Jahr 1945. Verfasst wurde es vom amerikanischen Schriftsteller und Pulitzer-Preisträger Stephen Vincent Benét (1898–1943). „The United Nations Prayer“ war Teil einer Radioansprache des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt zum „Flag Day“ (14. Juni) 1942, der in den Vereinigten Staaten als Gedenktag an die Einführung der Nationalflagge „Stars and Stripes“ 1777 gefeiert wird.
Präsident Roosevelt nahm in seiner Ansprache Bezug auf die wenige Monate zuvor unterzeichnete „Deklaration der Vereinten Nationen“, einem wichtigen Meilenstein zur späteren Gründung dieses internationalen Verbundes. Im Gesamtzusammenhang der Ansprache stellt das Gebet weniger ein Friedens- als vielmehr ein Freiheitsgebet dar: Mitten im Zweiten Weltkrieg galt es, den Geist der Freiheit gegen die Tyrannei der Achsenmächte zu beschwören.
Außerhalb des deutschsprachigen Raumes wurde das Gebet bisher wenig rezipiert. Da es kein offizieller Text der Vereinten Nationen ist, wurde es auch nicht in die Amts- und Arbeitssprachen der Vereinten Nationen übersetzt.
Gebet der Vereinten Nationen
Herr, unsere Erde ist nur ein kleines Gestirn im großen Weltall. An uns liegt es, daraus einen Planeten zu machen, dessen Geschöpfe nicht von Kriegen gepeinigt werden, nicht von Hunger und Furcht gequält, nicht zerrissen in sinnlose Trennung nach Rasse, Hautfarbe oder Weltanschauung.
Gib uns den Mut und die Voraussicht, schon heute mit diesem Werk zu beginnen, damit unsere Kinder und Kindeskinder einst stolz den Namen Mensch tragen.
(GL 20,1)