„Die Messe ist für die alten Leute gemacht!“

Als hörende Kirche müssen wir die realen Wirkungen der Liturgie kompetent wahrnehmen – und Konsequenzen daraus ziehen.

Während einer Diskussion unter Jugendlichen in Freiburg/CH fiel der Satz: „Die Messe ist für die alten Leute gemacht!“ Ich vermute, dass viele Jugendliche ähnlich denken.

Analysieren wir diesen Satz mit dem Kommunikationsquadrat – besser bekannt als dem Vier-Ohren-Modell – von Friedemann Schulz von Thun nach den vier verschiedenen Ebenen der Kommunikation. Auf der Sachebene hören wir dann die Feststellung: „Die Messe ist für die alten Leute gemacht.“ Als Selbstoffenbarung: „Ich fühle mich ausgegrenzt.“ Auf der Beziehungsebene zu den Verantwortlichen für die Messe lautet die Botschaft: „Ich bin euch nicht wichtig“, und der Appell schließlich lautet: „Gestaltet die Messen so, dass auch wir Jugendlichen uns angesprochen fühlen!“ Dabei ist die betroffene Messe nicht besonders traditionell gestaltet; die Jugendlichen sind auch eingeladen. Jedoch bleibt die reale Wirkung der Liturgie für diese Schweizer Jugendlichen: „Wir fühlen uns ausgegrenzt!“

Die Konzilsväter des Zweiten Vatikanischen Konzils hofften gemäß der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium auf andere Wirkungen der Liturgie: Sie soll die Menschen heiligen und die Gläubigen antreiben, „dass sie, mit den österlichen Geheimnissen gesättigt, in Liebe eines Herzens sind“ und „im Leben festhalten, was sie im Glauben empfangen haben“ (SC 10). Nun, würden die Menschen die Liturgie tatsächlich so erleben, dann würden ja alle Kirchgänger wiederkommen und die Kirchen füllen und schließlich beschenkt nach Hause gehen!

Dass es so einfach nicht ist, wussten natürlich auch die Konzilsväter und hielten weiterhin fest: Damit diese heiligenden Wirkungen in vollem Maße verwirklicht werden, „ist es notwendig, dass die Gläubigen mit recht bereiteter Seele zur heiligen Liturgie hinzutreten, dass ihr Herz mit der Stimme zusammenklinge und dass sie mit der himmlischen Gnade zusammenwirken, um sie nicht vergeblich zu empfangen“ (SC 11). Für eine tätige Teilnahme der Gläubigen forderten die Konzilsväter die liturgische Bildung der Gläubigen (vgl. SC 19).

Warum nehmen Menschen an der Liturgie teil, ohne dass ihre Seele bereitet ist und eben nicht mit der himmlischen Gnade zusammenwirkt? Ist es ein „verstocktes Herz“? Fehlt es ihnen an Glauben und persönlichem Gebet? Haben sie Gottesdienste als „nichtssagend“ und langweilig erlebt? Haben sie Wünsche zur Gestaltung der Liturgie, die nicht gehört, geschweige denn umgesetzt werden? Ist die Beziehung zur Institution Kirche, die sich ja in der Liturgie selbst ausdrückt, belastet? In der genannten Liturgiekonstitution werden diese und andere Fragen nicht reflektiert.

Einfach zuhören!

Was können wir tun? Dem Exodus aus unseren Gottesdiensten weiter zuschauen? Die Konzilsväter zeigen in der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes eine Richtung auf: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi“ (GS 1). Angewendet auf die Liturgie heißt das, die realen Wirkungen von Liturgie wahrzunehmen, die leider ganz anders sein können als wir es uns in der Kirche erhoffen. Zuhören ist hier unsere zentrale Aufgabe! Papst Franziskus stellt im Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Christus vivit „an die jungen Menschen und an das ganze Volk Gottes“ heraus: „Um in den Augen der jungen Menschen glaubwürdig zu sein“, müsse die Kirche demütig „einfach zuhören und in dem, was andere sagen, ein Licht erkennen, um selbst das Evangelium tiefer zu verstehen“ (CV 41). Zuhören ermöglicht weiterhin den Austausch von Gaben in einer von Empathie geprägten Atmosphäre. So schafft es gleichzeitig die Voraussetzungen, um das Evangelium so zu verkünden, dass es tatsächlich die Herzen erreicht (vgl. CV 38). Im Zuhören können wir einen wichtigen Beitrag leisten, um eine Beziehung zu den Menschen aufzubauen, die z. B. durch Ausgrenzung verloren gegangen ist.

Unser Auftrag in der Pastoral ist klar: Wir sollen eine hörende Kirche sein. Das Vier-Ohren-Modell ist verbreitet und gibt eine gute Möglichkeit, gerade auch die Selbstoffenbarungs- und Beziehungsebene wahrzunehmen. Auch in der Liturgiewissenschaft sind in den letzten Jahren verschiedene Modelle entstanden, um die Wirkungen der Liturgie kompetent wahrzunehmen (siehe Tipps zum Weiterlesen).

Eine partizipative Kirche sein

Bleibt das Gehörte jedoch folgenlos, werden z. B. die Messen nicht so gestaltet, dass sich die zitierten Schweizer Jugendlichen tatsächlich angesprochen fühlen, dann kann eine frisch aufgebaute Beziehung gerade wieder belastet werden. Es braucht Modelle zur partizipativen, vom Geist Gottes geleiteten Mitgestaltung der Liturgie durch die Gläubigen: Modelle, in denen nicht für die Gläubigen, sondern mit ihnen entschieden wird. Modelle, welche die unterschiedlichen Präferenzen zur Gestaltung der Liturgie z. B. von Jugendlichen und Betagten integriert. Die schlussendlich dazu beitragen, dass Jugendliche auch Angehörige ihrer „Peergroup“ in der Messe treffen.

Papst Franziskus fordert in Christus vivit ausdrücklich, dass wir uns von Gottes Geist beseelt zu einer partizipativen, mitverantwortlichen Kirche entwickeln sollen. Wie kann dies in der Liturgie gelingen? Das ist ein eigenes Thema.

Tipps zum Weiterlesen
  • Klaus Peter Dannecker / Melanie Wald-Fuhrmann: Wirkungsästhetik. Ein neuer Ansatz für eine transdisziplinäre empirische Liturgieforschung, in: Liturgisches Jahrbuch 68 (2018) S. 83–108.
  • Dies.: Liturgie, die die Menschen erreicht, in: Gd 52 (2018) S. 209–212.
  • Friedrich Lurz: Erlebte Liturgie. Autobiografische Schriften als liturgiewissenschaftliche Quellen (Ästhetik – Theologie – Liturgik 28), Münster 2003.

Die Zeitschrift Gottesdienst im Abo

Unsere Zeitschrift bietet Ihnen Beiträge zu Grundfragen und neuen Entwicklungen im Bereich gottesdienstlicher Feiern, einen Praxisteil mit erprobten Textvorlagen und konkreten Modellen für den katholischen Gottesdienst sowie Hinweise auf aktuelle Vorgänge, Ereignisse und Tagungen. 

Zum Kennenlernen: 3 Heft gratis

Jetzt gratis testen