Gottesdienste in der Pandemie für alle gestalten

Wie gestalten wir Gottesdienste für die Gemeinde? Mit einer Livestream-Messe im Fernsehen bzw. Internet oder mit Hausgottesdiensten in der Familie und/oder mit Freunden? Können wir in unserem Kirchengebäude sogar physische Gottesdienste verantworten? Wie setzen wir die geforderten Schutzmaßnahmen in der Praxis um? – Diese und weitere Fragen standen zu Beginn und am Ende des „Corona-Lockdowns“ im Vordergrund. Doch mit ziemlicher Sicherheit müssen wir uns nun auf eine längere Zeit der Pandemie einstellen – mit allen damit verbundenen Einschränkungen für die gottesdienstliche Praxis. Es stellen sich somit noch weitere Fragen: Wie können Gottesdienste für die Gemeinde so gestaltet werden, dass möglichst niemand ausgeschlossen wird? Wie können wir die besondere Situation sogar so nutzen, dass sie die Chance für einen längerfristigen liturgischen Aufbruch bietet?

Die Pandemie mit ihrem Zwang zur Änderung der gewohnten Feierpraxis bietet die Chance, eine neue Achtsamkeit für die Liturgie zu entwickeln, indem z. B. Gläubige um ihr Feedback gebeten oder Erfahrungen aus den Hausgottesdiensten gesammelt werden. Normalerweise haben wir Seelsorger weniger „das Ohr am Volk“, denn sofern alles seinen gewohnten Gang geht, gibt es wenig Bedarf für Rückmeldungen. Außerdem existieren nur wenige Liturgiekreise oder liturgische Sachausschüsse, die sich auch auf diese Aufgabe konzentrieren könnten. Doch gerade in der jetzigen Situation und mit dieser neuen Achtsamkeit für das gottesdienstliche Leben in unseren Gemeinden sollten wir die Rückmeldungen der Gläubigen in einen Dialog mit dem Erfahrungsschatz des Lehramtes bringen, das Liturgie als Quelle und Höhepunkt des kirchlichen Handelns sieht mit dem Ziel, den Menschen zu heiligen. Nicht nur sollten die liturgischen Normen beachtet, sondern auch die zahlreichen Freiräume genutzt werden, damit die Gläubigen tätig teilnehmen können – innerlich und äußerlich, sodass Stimme und Herz zusammenklingen (vgl. SC 10, 14, 19, 21). Folglich ist die Liturgie „Herzenssache“. Je mehr die Gläubigen mit ihren Rückmeldungen in die Tiefe gehen und von den Regungen ihres Herzens erzählen, um so wertvoller sind sie.

Wunsch nach gemeinsamer Feier

Die Schweizerische Bischofskonferenz bestätigte in ihrer Vollversammlung im Juni dieses Jahres die guten Erfahrungen, die vielerorts mit Gebeten und Gottesdiensten im Internet, Radio und Fernsehen gemacht worden sind. Durch die Medien wurden sogar mehr Gläubige erreicht als vor der Corona-Krise – selbst kirchenferne Menschen haben das Gebet neu entdeckt. Auf der anderen Seite ist aber auch der starke Wunsch gewachsen, endlich wieder physisch gemeinsam Gottesdienst zu feiern. Doch kann diesem Wunsch in jedem Fall entsprochen werden – vor allem im Hinblick auf die Hygieneregeln und Abstandsgebote?

Wenn im Kirchenraum aufgrund der Abstandsregeln ein Mangel an Sitzgelegenheiten herrscht, könnte durch eine zusätzliche Bestuhlung oder sogar durch eine Gottesdienstübertragung per Beamer in den Pfarrsaal Möglichkeiten der physischen Teilnahme geschaffen werden. Auch dort feiern die Gläubigen gemeinsam und können sogar die Eucharistie empfangen. Trotzdem wird es immer wieder Menschen geben, die der Risikogruppe angehören und deshalb auf eine physische Teilnahme am Gottesdienst verzichten müssen. Der Magdeburger Bischof Gerhard Feige mahnte, dass Gottesdienste nicht nur für die Gesunden und Starken zelebriert werden sollen, sondern gerade auch für die Kranken und Schwachen. Die Zahl der Älteren und Gebrechlichen, die keinen Gottesdienst mehr besuchen können und auf ihren Wunsch hin monatlich die Krankenkommunion empfangen möchten, wird in Zeiten der Corona-Krise weiter zunehmen. Mit Gottesdiensten im Radio, im Fernsehen oder im Internet können auch sie gut erreicht und integriert werden. Die Homepages verschiedener Bistümer bieten für Gemeinden genügend Hilfen an, um Livestreams genauso qualitativ hochwertig wie einfach und effizient zu gestalten (vgl. auch Gd 12/2020, S. 137–138). Eine Gemeinde, die ihren Gottesdienst ohnehin in den Pfarrsaal überträgt, kann ihn zudem auch online stellen.

Die Wirkung von übertragenen Messfeiern aus der eigenen Gemeinde sollte nicht unterschätzt werden: Sie wirken wohltuend, denn man kennt die Priester und die Menschen in der Gemeinde. Die persönliche Bindung ist eine andere als bei einer Übertragung aus einer unbekannten Gemeinde. Theologisch gesehen ist die feiernde Gottesdienstgemeinde das (sekundäre) liturgische Subjekt. Am Bildschirm ist es den Mitfeiernden möglich, sich weiterhin als Teil ihrer Gemeinde zu erfahren. Ähnlich wertvoll ist es, Vorsteher und Gläubige aus Nachbargemeinden sehen zu können – diese hat man vielleicht schon bei einer Hochzeit oder Beerdigung erlebt. In der schweizerischen Bistumsregion Deutschfreiburg – vergleichbar mit der Größe eines Dekanates – haben wir sehr gute Erfahrungen gesammelt mit übertragenen Messen, die abwechselnd von den verschiedenen Seelsorgeteams Deutschfreiburgs gestaltet wurden. Ebenfalls wichtig sind Messfeiern mit dem Bischof oder einem Weihbischof, die aus der Kathedrale übertragen werden. Durch sie wird deutlich, dass die feiernde Ortsgemeinde stets mit ihrem Bistum und der Weltkirche verbunden ist.

Gemeinsam singen und beten

Sofern die äußere Teilnahme, etwa das gemeinsame Singen und Beten, vor Ort nur eingeschränkt möglich ist, kann dies ein Anlass sein, die innere Teilnahme der Gläubigen zu fördern, indem man bewusste Phasen der Stille pflegt, so z. B. durch eine stille Fürbitte mit persönlichen Anliegen oder die Einladung zum stillen Gebet nach der Kommunion (vgl. das Gebet auf S. 163 in diesem Heft oder Gd 8/2020, S. 90 und Gd 9/2020, S. 97–99).

Bei der Übertragung von Gottesdiensten kann der Gesang der Mitfeiernden vor dem Bildschirm durch verschiedene Maßnahmen gefördert werden, indem z. B. ein/e Kantor/in oder eine Schola die Lieder vorsingt. Weiterhin können die Seelsorger empfehlen, ein eigenes „Gotteslob“ (GL) bzw. „Katholisches Gesangbuch“ (KG) für den Hausgebrauch zu erwerben. Alternativ kann man auch Liedblätter zum Download bereitstellen – sofern dies rechtlich möglich ist (vgl. auch Gd 11/2020, S. 125–126).

Unter Einhaltung der Schutzvorschriften können die Gläubigen in einer öffentlichen Messe die Kommunion empfangen. Doch gerade für Angehörige von Risikogruppen und für gebrechliche Personen bieten sich die „geistliche Kommunion“ sowie eine Ausweitung der Krankenkommunion an.

Die geistliche Kommunion ist heute weitgehend in Vergessenheit geraten, verfügt aber über eine lange Tradition. Erwachsen ist sie aus der strengen Bußpraxis des Mittelalters, die hohe Hürden zum Empfang der Kommunion aufstellte. Gemäß Thomas von Aquin ist es möglich, dass auch Menschen, die den tiefen Wunsch nach der leibhaftigen Kommunion hegen, aber aus verschiedenen Gründen an ihrem Empfang gehindert sind, ihre Gnadenfrüchte auf geistlichem Weg empfangen können. Diesen Wunsch verspüren zur Zeit viele Gläubige, weshalb Papst Franziskus sowie viele Bischöfe die Empfehlung aussprechen, im Rahmen der Teilnahme an Messübertragungen geistlich zu kommunizieren. Aufgrund der medialen Distanz wäre jedoch die Unterstützung durch eine entsprechende liturgische Gestaltung hilfreich. So lud z. B. Papst Franziskus bei seinen gestreamten Frühmessen in Santa Marta nach der Kommunion, bei der die Monstranz mit dem Allerheiligsten auf den Altar gestellt wurde, zur eucharistischen Anbetung ein. Als wir (von der Universitätsseelsorge) eine der übertragenen Deutschfreiburger Messen gestaltet haben, hielt der Priester, nachdem er kommuniziert hatte, die Patene mit Gemeindehostien in die Kamera, während die geistliche Kommunion mit einem Lied, einem Gebet, einer kurzen Stille und einem Dankgebet gestaltet wurde. Die geistliche Kommunion kann auch mit dem Agnus Dei verknüpft werden.

Des Weiteren sollten eine Förderung und Ausweitung der Krankenkommunion angestrebt werden. Warum dazu nicht auf Ehrenamtliche oder sogar auf ältere Jugendliche zurückgreifen? In vielen kirchlichen Jugendbewegungen werden die Messfeier sowie die eucharistische Anbetung sehr gepflegt. Vor allem die Erfahrenen unter ihnen bringen bereits die nötige Wertschätzung der Eucharistie mit, um die Krankenkommunion zu spenden. Mit ein wenig Anleitung, Bildung sowie Begleitung durch die Seelsorger/innen könnten sie diesen wichtigen Dienst aufnehmen. Normalerweise braucht es dazu eine Beauftragung des Bischofs. Aber würde in Zeiten von Corona nicht auch eine Beauftragung durch einen Seelsorger vor Ort als Ausnahmeregelung genügen?

Mehr noch: Könnten nicht sogar Gläubige dazu eingeladen werden, eine Patene oder ein ähnliches Gefäß zur Messfeier mitzubringen, um eine konsekrierte Hostie für ihre gebrechlichen Angehörigen mitzunehmen, und ebenfalls entsprechend begleitet werden?

Die Krise als Chance

Wenn Bischof Feige anmahnt, die Kranken und Schwachen nicht von der Gottesdienstteilnahme auszuschließen, dann kann die Corona-Krise das Bemühen stärken, sie als besondere Gruppe der Gemeinde wahrzunehmen und gezielt Maßnahmen zu ergreifen, um sie zu integrieren. Mit den Gebeten und Gottesdiensten in Radio, Fernsehen und Internet werden bereits mehr Menschen als vor der Krise erreicht. Gläubige werden sogar selber aktiv und feiern Hausgottesdienste. Beides ist ermutigend!

Eine weitere Herausforderung besteht in der veränderten Gestaltung der öffentlichen Gottesdienste. Nicht alleine, sondern gemeinsam mit den Gläubigen, in einer neuen Achtsamkeit für das, was sie im Herzen bewegt, im Dialog mit dem Erfahrungsschatz des Lehramtes. So können wertvolle Erfahrungen gesammelt werden für einen längerfristigen liturgischen Aufbruch, in dem sich verstärkt Gläubige partizipativ einbringen und verschiedenste Gruppen in den Gottesdienst integriert werden (vgl. auch Gd 21/2019, S. 246–247 und 3/2020, S. 25–27).

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