Partizipation in der Liturgie

Wie kann die sonntägliche Messfeier als Quelle des Glaubens reicher fließen? Einige Überlegungen

Verschiedene Menschen gießen Wasser aus unterschiedlichen Krügen in eine große Schale, die überläuft
Erst wenn unterschiedliche pfarrliche Gruppen ihre Talente in die Liturgie einbringen dürfen, kann sie zur lebendigen Quelle werden. Symbol hierfür ist die überlaufende Wasserschale.© Martin Bergers

Die Liturgie mit ihrem gemeinsamen Beten und Hören auf das Wort Gottes stellt für die Kirche den Höhepunkt ihres Handelns dar und ist „zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt“ – so hält es das Zweite Vatikanische Konzil in der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium fest (vgl. SC 10). Doch wie kann die Partizipation der Gläubigen an der Liturgie diese Quelle reicher fließen lassen? Dieser Frage wird im Folgenden nachgegangen, wobei der sonntägliche Gottesdienst für die ganze Pfarrei (im Idealfall eine Eucharistiefeier, alternativ eine Wort-Gottes-Feier) im Fokus steht.

Das Bild der Quelle wird im Foto aufgegriffen: Menschen mit verschiedenen Krügen gießen Wasser in eine Schale, die überläuft und die Wiese darunter tränkt. Die Schale steht dabei für die Liturgie, die zur Quelle wird. Die Menschen mit den unterschiedlichen Krügen stehen für verschiedene Gruppen in einer Pfarrei – Kinder, Jugendliche, Erwachsene mittleren Alters, Seniorinnen und Senioren sowie Mitglieder von Geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen – und für den Vorsteher der Liturgie. Durch deren Gießen läuft die Schale über und die Oberfläche des Wassers gerät in Bewegung – ein Zeichen für Liturgie, die lebendig ist.

Überträgt man dieses Bild jedoch auf die gottesdienstliche Realität, würden von den acht Krügen wohl fünf fehlen. Denn neben dem Vorsteher sind vor allem die Älteren anwesend; die anderen Gruppen fehlen weitgehend. Wie kommt es dazu? In der vorkonziliaren Zeit waren die Gläubigen weniger als heute in die eigentliche Messfeier eingebunden. Vielfach beteten sie parallel zum Geschehen im Altarraum ihr individuelles Gebet aus einem Gebetbuch oder auch den Rosenkranz. Es handelte sich hierbei um Gebete, die ihrer persönlichen Glaubenspraxis entsprachen. Ein anderes Bild zeigt sich heute: Wir können die vom Priester gesprochenen Gebete hören und innerlich mitvollziehen, antworten mit Akklamationen, bekennen gemeinsam unsere Schuld oder unseren Glauben, dürfen reicher vom „Tisch des Wortes Gottes“ kosten … Diese wichtigen Elemente haben jedoch einen hohen Preis: Unser Handeln innerhalb der Messfeier erhielt eine Vereinheitlichung. Wenn nun aus den genannten und weiteren Gründen die so vereinheitlichte Liturgie vor allem eine bestimmte Gruppe anspricht, ist es kein Wunder, wenn sich andere Gruppen nicht angezogen fühlen und wegbleiben. Das ist heute eines unserer großen Probleme!

Gelungene Beispiele

Wie kann die Liturgie nun die verschiedenen Gruppen innerhalb einer Pfarrei integrieren und deren Beitrag für die Liturgie fruchtbar werden lassen? Folgende zwei Beispiele zeigen, wie Partizipation von Gläubigen die Liturgie bereichert: Monsignore Luis Capilla, bis August 2019 Leiter der katholischen Migrantenseelsorge im Kanton Zürich, erzählte von seinen Erfahrungen in Castellón de la Plana (Spanien) und in der italienischen und spanischen Migrantenseelsorge: Gläubige können ihre Liedvorschläge für die Messe an den Priester weitergeben, der sie (meistens) einbaue. So motiviert, sängen die Gläubigen kräftig mit. Partizipation lockt in die Kirche. Als Ministrantinnen und Ministranten treffen wir Kinder und Jugendliche im Gottesdienst an, außerhalb ihres Dienstes jedoch selten. Im Rahmen ihres Dienstes treffen sie ihre Altersgenossen, werden gebraucht und haben ihren Platz. Das alles fehlt im „normalen“ Gottesdienst.

Der Begriff „Partizipation“ leitet sich ab vom spätlateinischen participatio und wird übersetzt mit „Beteiligung“ im Sinne von „Teilnahme“ bzw. „Teilhabe“. Im allgemeinen politischen und pastoralen Sprachgebrauch umfasst es die Dimensionen der Beteiligung an Entscheidungen sowie ihrer Durchführung mit der Übernahme entsprechender Aufgaben. Für den Bereich der Liturgie wird das lateinische Begriffspaar participatio actuosa aus der schon genannten Liturgiekonstitution mit „tätiger Teilnahme“ übersetzt – ein Schlüsselbegriff! Der Aspekt der Teilhabe an Entscheidungen kam in der Wirkungsgeschichte dazu, als in den 1970er Jahren mit dem „Sachausschuss Liturgie“ Gläubige an der Gestaltung von Liturgie mitwirken durften. Für ihre Entscheidungen gibt es einen beachtlichen Freiraum, denn die Allgemeine Einführung in das Römische Messbuch (AEM) sieht vielfache Auswahlmöglichkeiten vor, die genutzt werden sollen, um die Messe der jeweiligen Situation und der religiösen wie geistigen Fassungskraft der feiernden Menschen anzupassen (vgl. AEM 313).

Gemäß des Prinzips der Partizipation – verstanden als Mitbestimmung und Mitwirkung – gestaltet die ganze Gemeinde die Liturgie. Denn diese ist dem Zweiten Vatikanischen Konzil zufolge Trägerin der Liturgie. Die Gemeinde handelt, indem sie auf Christus antwortet, der immer den ersten Schritt auf sie zugeht. In der Eucharistiefeier hat der Priester als Stellvertreter Christi mit seinem Amt als Vorsteher eine besondere Funktion. Wenn sich also die Gemeinde zur gemeinsamen Antwort auf Christi Handeln versammelt, dann hat auch die menschliche Gemeinschaft einen hohen Stellenwert und wirkt auf ihre Weise stärkend. Der „Sinn für die Pfarrgemeinschaft“ solle so vor allem in der gemeinsamen Feier der Sonntagsmesse wachsen (vgl. SC 42). Innerhalb der Pfarrei ist aber nach den Besonderheiten der jeweiligen Gruppen zu differenzieren – im Foto ausgedrückt durch die Unterschiedlichkeit der Krüge. Wichtig ist dabei, allen Gruppen innerhalb der Liturgie genügend Raum zu geben, sodass sie sich tatsächlich eingeladen fühlen und Menschen aus ihrer Gruppe begegnen können.

Unterschiedliche Liturgiekulturen

All diese Gruppen haben ihre eigene Liturgiekultur. Das kann ein Vergleich von Liedern zeigen: Lieder für Kinder, andere aus der Weltjugendtagsbewegung oder barocke Kirchenlieder, welche oftmals von Seniorinnen und Senioren bevorzugt werden – in Musik und Text weisen sie alle Eigenarten auf, welche für den Glauben der jeweiligen Gruppe wichtig sind. Gleiches gilt für andere Elemente wie Körperhaltungen, z. B. das Erheben der Hände bei den charismatischen Gemeinschaften. Die Gruppen unterscheiden sich also in ihren Arten, Liturgie zu feiern. Es drücken sich darin unterschiedliche Schwerpunkte des Glaubens aus. Sie weisen damit unterschiedliche Liturgiekulturen auf. Es besteht dann die Aufgabe, die verschiedenen Liturgiekulturen zu vereinen und ihre unterschiedlichen Glaubenszeugnisse fruchtbar werden zu lassen. Das Wort „katholisch“ als „allumfassend“ bekommt hier seine besondere Bedeutung!

Die eigene Liturgiekultur gibt jeder Gruppe Heimat, die jeweils andere ist fremd und vielleicht sogar unverständlich. Daher gilt es, Brücken zueinander zu bauen. Bei passenden Gelegenheiten außerhalb liturgischer Feiern können sich Menschen unterschiedlicher Gruppen kennenlernen sowie z. B. über ihre Lieblingslieder im Gottesdienst sprechen und warum sie ihnen so wichtig sind. Das stärkt die Gemeinschaft und hilft, sich auf die jeweils andere Liturgiekultur einzulassen. Im besten Fall singen z. B. die Seniorinnen und Senioren die Lieder der Jugendlichen mit, weil sie ihnen sympathisch sind und weil sie spüren, wie wichtig ihnen diese Lieder sind. So lassen sie sich auch von den Liedern der Jüngeren ansprechen – und ihr eigener Glaube erhält neue Impulse.

Lob des Liturgiekreises

In der Tradition des „Sachausschusses Liturgie“ könnten (wieder) Liturgiekreise entstehen, welche die Sonntagsgottesdienste zusammen mit den Seelsorgern gestalten. Es ist von größter Bedeutung, dass eine solche Liturgiegruppe paritätisch besetzt und jede relevante Gruppe der Gemeinde vertreten ist. So kann jede ihre Liturgiekultur einbringen. Wichtig ist, dass im laufenden Prozess nicht eine Gruppe doch wieder dominant wird und die anderen an den Rand drängt, sondern im vertrauensvollen Miteinander jede ihren Platz behält.

Ein Liturgiekreis hat im Rahmen der lehramtlichen Normen verschiedene Aufgaben. Er trifft Grundsatzentscheidungen zur Gestaltung der Gottesdienste. Außerdem reflektieren die Mitglieder, wie die Gottesdienste erlebt und ob die Grundsatzentscheidungen umgesetzt wurden. Gelegenheiten und Anlässe zur liturgischen Bildung vertiefen das Verständnis der Liturgie und erweitern das Handlungsrepertoire. Die Gruppe fragt Menschen an, die sich vielleicht punktuell mit ihren besonderen Begabungen in die Liturgie einbringen möchten, und übernimmt dort selber Aufgaben. Dies muss jeweils gut vorbereitet und begleitet werden: Ist die übernommene Aufgabe gelungen, kann es die engagierte Person stärken, beim Gegenteil allerdings auch sehr enttäuschen. Liturgie wird jedoch dann gelernt, wenn sie Freude macht. Z. B. die Freude, mit meiner Liturgiekultur einen Raum im Gottesdienst zu haben. Die Freude, Menschen zu begegnen. Die Freude, mich in liturgischen Diensten bewährt zu haben. Gelungene Partizipation in der Liturgie hilft, Liturgie zu lernen und meine Beziehung zu ihr zu vertiefen.

Gemeinsam die Schale füllen

Welche Chancen und Grenzen birgt nun die Partizipation in der Liturgie? Liturgie partizipativ zu gestalten, ist ein aufwändiger Prozess, für den vielleicht einfach die Ressourcen fehlen. Da Liturgie „Mitte und Höhepunkt“ des kirchlichen Lebens darstellt, könnten Prioritäten überdacht und neu gewichtet werden, um die vorhandenen Ressourcen anders zu nutzen. Die Chance besteht vor allem darin, dass sich Menschen unterschiedlicher Liturgiekulturen in den sonntäglichen Gottesdienst für die ganze Gemeinde eingeladen fühlen – und nicht nur in besonderen Liturgien für eine Zielgruppe wie Kinder- oder Jugendgottesdienste. Die Liturgie kann wieder zum Begegnungsort für alle werden. Die Gläubigen werden zur aktiveren tätigen Teilnahme motiviert und können mit ihren unterschiedlichen Glaubenszeugnissen die Liturgie bereichern. Es sind dann wirklich alle relevanten Gruppen aus der Pfarrei integriert und „gießen in die Schale der Liturgie“. Auf diese Weise kann die Liturgie als Quelle reicher fließen!

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