Begegnung und „Sprache“

Liturgie ist weit mehr als ihre äußeren, sinnlich wahrnehmbaren Ausdrucksformen. Sie lebt auch von guten Beziehungen.

Menschen begegnen in liturgischen Feiern Gott, aber sie treten auch untereinander in Beziehung. In den Begegnungen erleben die Teilnehmer/innen die Liturgie in seiner bzw. ihrer je eigenen Weise und treffen Entscheidungen zur Gestaltung dieser Begegnung. Dabei gebrauchen sie die besondere „Sprache“ der Liturgie. Die Liturgie als Begegnung und als Sprache – die beiden Begriffe stellen zwei „Schlüssel“ zum Verständnis der Liturgie dar. Was macht diese beiden Schlüssel aus? Können sie sich ergänzen? Aus den Antworten ergeben sich weitreichende Schlussfolgerungen für die Leitung von Pfarreien, nicht zuletzt für das von Papst Franziskus mehrfach geforderte Ziel der Neuvangelisierung.

Beginnen wir mit einem Vergleich: Bitte stellen Sie sich vor, ein Mensch, der Ihnen viel bedeutet, verreist an einen weit entfernten Urlaubsort. Sie erhalten eine „WhatsApp“-Nachricht: „Wir sind gut angekommen. Es ist schön hier! :-)“ Sie antworten: „Vielen Dank für deine Nachricht! Schönen Urlaub! :-)“ Diese Nachrichten verwenden mit den Worten und Symbolen eine Sprache, die Sie verstehen. Nur so können Ihnen die Nachrichten persönlich wichtig werden. Persönlich wichtig werden sie, weil Ihnen die verreiste Person wichtig ist und Sie sich vielleicht Sorgen gemacht haben. Möglicherweise haben Sie sie im Vorfeld mit ihren Sorgen genervt und sie wollte nicht schreiben. Um so dankbarer sind Sie für ihre Entscheidung, die Nachricht doch zu senden. Damit stellt der kurze Chat eine Begegnung dar, der (kleine) Entscheidungen der handelnden Personen widerspiegelt und eben auch bestimmte Wirkungen bei Ihnen hinterlässt.

In der Liturgie ist es ganz ähnlich. Sie stellt zunächst eine Handlung der versammelten Gottesdienstgemeinde dar: Diese spricht Gebete, singt Lieder, hört die Frohe Botschaft und ihre Auslegung, verwendet mit Weihwasser oder Kerzenleuchtern Symbole. Die Liturgie braucht Worte, Musik und Symbole, um die Botschaft der Zuwendung und Liebe Gottes zu vermitteln. Wie eine normale Sprache muss die Sprache der Liturgie erlernt oder vertieft werden – vor allem die Bedeutung der Symbole. Wie der „WhatsApp“-Chat übt die Liturgie Wirkungen auf die sprechenden Personen aus, und diese entscheiden, wie sie sich weiter einbringen.

In diesem Sinne wird in der liturgischen Bildung die Liturgie vor allem als „Sprache“ erschlossen. Wenn in die Messfeier eingeführt wird, dann werden vor allem ihre verschiedenen Elemente, d. h. die Worte und Symbole erklärt. So wird in der liturgischen Bildung vor allem auf den „Mund“ geschaut, jedoch wenig auf das Innere, das „Herz“. Hier spielt sich jedoch das Lebenswichtige ab. Das Innere zu berücksichtigen, lässt die Liturgie lebensnah werden. Natürlich dürfen wir hoffen, dass z. B. der Empfang der Heiligen Kommunion auch innerlich berührt. Aber wie erlebt es der einzelne Mensch tatsächlich?

Im Folgenden sollen Beispiele von verschiedenen Ebenen der liturgischen Begegnung beschrieben und dabei aufgezeigt werden, was sie im menschlichen Inneren vor allem für die emotionale Ebene bedeuten:

  • Freue ich mich, meine Banknachbarn zu sehen, oder möchte ich insgeheim lieber ein paar Bänke Abstand halten?
  • Spricht mich die Predigt des Priesters an?
  • Wenn ich in einer Messe nur Orgelmusik höre und meist nur traditionelles Liedgut gesungen wird – fühle ich mich dann abgeholt mit meinen Wünschen, Liturgie zu feiern?
  • Jemand erzählte: „Als ich Kind war, hat der Pfarrer in der Messe immer ein Gebet für uns Kinder gesprochen. Er hat zwar so genuschelt, dass wir fast nichts verstanden. Aber er hat an uns gedacht!“ Positive oder auch negative Erlebnisse aus der eigenen Lebensgeschichte können auf mich anziehend oder auch abstoßend wirken.
  • Gerade die Eucharistiefeier stellt eine zentrale Ausdrucksform des Glaubens der katholischen Kirche dar; indirekt begegne ich der Kirche vor Ort wie der Weltkirche. Was löst das in mir aus?
  • In der Liturgie sind wir Gläubigen gemeinsam auf Gott ausgerichtet. Wir begegnen ihm anders als den Menschen. Wir dürfen vertrauen, dass er die Letztursache darstellt für alles Positive, das wir in der Liturgie empfangen – wenn wir z. B. zur Ruhe kommen oder die regelmäßige Teilnahme an der Messe unserem Leben Struktur und Halt gibt.

All diese Aspekte beeinflussen meine Motivation und meine Entscheidungen, wie ich mich in die Liturgie einbringe. Lasse ich mich ablenken? Oder bete und singe ich aufmerksam mit, wobei Herz und Stimme zusammenklingen? Die Liturgie stellt also ein sehr komplexes Beziehungsgeschehen dar. Um die Liturgie als etwas Wertvolles zu erleben, brauchen wir ein Zweifaches: Wir brauchen gute Beziehungen sowohl zu den Menschen in der Gemeinde als auch zu Gott, und wir müssen die Sprache der Liturgie verstehen.

Konkrete Maßnahmen

Für die Leitung einer Pfarrei bzw. einem Verbund von Pfarreien (Pastoralverbund, Seelsorgeeinheit …) ergeben sich daraus verschiedene Aufgaben, von denen hier die wichtigsten genannt seien:

  • Zunächst einmal sollte den Menschen zugehört werden, um sie ernst zu nehmen und um zu verstehen, wie sie die Liturgie tatsächlich erleben. Welche realen Wirkungen hinterlässt die Feier bei ihnen? Um von diesen persönlichen Eindrücken erzählen zu können, muss vielleicht erst einmal Vertrauen zueinander aufgebaut werden. Sodann sollten die Gläubigen die Möglichkeit erhalten, die Liturgie partizipativ mitzugestalten. So können sich z. B. Jugendliche und Senioren (im Rahmen der liturgischen Normen) mit ihren Wünschen in der Liturgiegestaltung ergänzen. Der sonntägliche Gottesdienst sollte so gestaltet sein, dass sich Menschen unterschiedlicher Altersgruppen, kirchlicher Bewegungen und aller relevanten Personengruppen angesprochen fühlen und integriert werden können. Ein Liturgiekreis, in dem Seelsorger und Ehrenamtliche zusammenarbeiten, kann den sonntäglichen Gottesdienst partizipativ gestalten.
  • In der konkreten Liturgiegestaltung kann dies durch einzelne Elemente unterstützt werden, z. B. könnte ein Empfangsdienst die ankommenden Gottesdienstteilnehmer/ innen begrüßen. Gerade in den Städten, in denen die Neu-Zugezogenen in großer Zahl präsent sind, ist der Empfangsdienst ein wichtiges Zeichen des Willkommens.
  • Weiterhin lassen Elemente von Stille in der Liturgie Freiraum für meine persönlichen Gebete. So können z. B. die Teilnehmer/ innen im Rahmen der Fürbitten eingeladen werden, schweigend eine Fürbitte an Gott zu richten für Menschen, die ihnen persönlich wichtig sind. Mit beidem haben wir im „Katholischen Stadtgottesdienst der Universitätsgemeinschaft“ gute Erfahrungen gesammelt.
  • Sodann braucht es sowohl Treffpunkte für die einzelnen Gruppen als auch für die gesamte Pfarrei, damit menschliche Beziehungen untereinander wachsen können und sie sich im besten Fall auch über ihren Glauben austauschen können.
  • Gebete im Alltag öffnen den Sinn für das Gebet in der Messe. Das alltägliche Gebet, wie etwa ein Tischgebet oder ein persönlicher Tagesrückblick, kann mit geeigneten Maßnahmen gefördert werden.
  • In der liturgischen Bildung von Erstkommunionkindern und ihrer Eltern, aber auch in der Erwachsenenbildung sollte zunächst die Eucharistiefeier selbst im Vordergrund stehen. Die Sprache der Liturgie sollte erschlossen und gute Beziehungen zu den verschiedenen Personen gefördert werden. Hier können sich z. B. Mitglieder der Gemeinde als Patinnen und Paten zur Verfügung stellen. Ihre Aufgabe wäre es, den Lernenden von ihrem Leben und Glauben zu erzählen und ihren Weg im Gebet zu begleiten. Im besten Fall freuen sich die Lernenden, ihren Paten im Gottesdienst zu begegnen. Die guten Beziehungen motivieren dazu, die Sprache der Liturgie zu erlernen. Oder möchten wir eine Fremdsprache erlernen, wenn uns niemand wichtig ist, mit dem wir diese Sprache sprechen können?

Es braucht beides!

Sprache und Begegnung – die beiden „Schlüssel“ zur Liturgie ergänzen einander: Nur wenn ich die Sprache der Liturgie verstehe, kann ich in ihr die Zuwendung Gottes erfahren. In der Liturgie verstanden als Begegnung bin ich als Person gefragt: Wie erlebe ich die Feier? Welche Wirkungen hinterlässt sie bei mir? Wie gestalte ich sie mit? Gute Beziehungen bereichern das Erleben des Gottesdienstes und können uns motivieren, die Sprache der Liturgie zu erlernen.

So möchte ich an die Gemeindeleitungen plädieren, die entsprechenden Schlussfolgerungen zu ziehen. Hilfestellungen können adäquate Materialien zur liturgischen Bildung geben, die m. E. noch entwickelt werden müssen, sowie Bistumsleitungen, die Prozesse zur liturgischen Partizipation begleiten.

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