Lichteinfälle

Licht prägt den Kirchenraum und die in ihm gefeierte Liturgie. Was hat es mit diesem Naturphänomen auf sich und wie lässt es sich christlich deuten? – Ein Essay.

Blick in die Kuppel der Wallfahrtskirche in Neviges
Blick in die kristalline Lichtkuppel des Mariendoms in Neviges: Für den 2021 verstorbenen Architekten Dominikus Böhm war Licht ein wesentliches Gestaltungsmittel.© Laurian Ghinitoiu/archdaily.com

Wenn wir Licht sehen, verbindet uns dies mit unserem Ursprung. Photonen, kleine Quantenobjekte, die seit Jahrmillionen mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs sind, übermitteln uns heute Informationen über die Entstehung unseres Universums. Sie geben Auskunft, wie nach dem Urknall aus einer leuchtenden Gaswolke im Laufe der Jahre ein differenzierter Kosmos aus Galaxien und Sonnensystemen entstand, deren Licht weiter ausstrahlt. Damit verbunden stellen sich weitere Fragen nach dem Ursprung des anfänglichen Feuerballs: Ist die Materie unseres Universums erkaltetes Licht, das auf das ursprünglich singuläre Raum-Zeit-Kontinuum zurückgeht? Und weiter gefragt: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Singularität des Urknalls und der conditio humana als Grundlage unseres sozialen und geistigen Lebens, unseres heutigen Menschseins? Ist Licht eine beherrschbare Größe oder bleibt es weiterhin eine, wenn nicht die zentrale inspirierende Quelle für die Auseinandersetzung mit unseren Lebensgrundlagen?

Im Sehen von Licht liegt der Schlüssel einer vertieften Auseinandersetzung. Sehen geht weit über die Funktionen unseres optischen Sehapparates hinaus und ist ein zutiefst geistiger, weltschöpfender Vorgang für jeden Menschen. Dazu können wir festhalten:

  • Licht ist Raumbildner, Medium der Wahrnehmung und Medium der Darstellung.
  • Licht und Dunkel sind im semantischen System der Sprache und der symbolischen Ordnung unserer Kultur unausweichlich und notwendig.
  • Licht ist aus unserem Bewusstsein und aus unserem Leben nicht wegzudenken; vielfältig schimmert es durch unser Sein und prägt unser Erleben.

Im Licht der Offenbarung

Licht ist seit Menschengedenken Lebensspender und Metapher für das Unbegreifliche und Göttliche. Aber während die Kulturgeschichte der Lichtmetaphorik wie ein Sammelbecken für Ideen und Heilsversprechen erscheint, ist das physikalische Wissen über Licht an vielen Stellen komplex und heute in seiner Komplexität nur über Theorien und Modelle der Quantenphysik zu begreifen.

Bis heute ist Licht zentrales Symbol der monotheistischen Religionen und im Christentum das zentrale Christussymbol. Dieser Zusammenhang geht auf die Verknüpfung von Licht und Offenbarungsgeschehen (z. B. im Zeugnis von Simeon und Hanna, Lk 2,32) zurück. Zudem steht das in den Raum fallende Tageslicht in vielen Kirchengebäuden im Zeichenzusammenhang mit dem österlichen Licht, der zentralen Metapher für das eschatologisch erwartete Kommen und die Gegenwart Jesu Christi. In frühen Hymnen und im Osterlob Exsultet wird Jesus als das „Licht der Welt“ besungen. Im Kern der Osterfeier steht die Erfahrung des Paschamysteriums, die Verkündigung von Leiden, Tod und der Auferstehung Jesu Christi.

Wie aber hängen die Wahrnehmung von Licht und die Christussymbolik des Osterlobs zusammen? Das griechische Wort metaphorá bedeutet übersetzt „Übertragung“. So wird ein Wort auf ein komplett anderes Themengebiet übertragen und gibt somit dem anderen Wort oder Ausdruck eine ganz andere, neue Bedeutung. In der Lichtfeier der Osternacht werden metaphorisch christologische Eigenschaften auf das Osterfeuer und die daran entzündete Osterkerze übertragen. Dieser Ritus symbolisiert, dass Jesus der Ursprung des Lebens ist und Licht in die Dunkelheit bringt.

Die meist sehr große Osterkerze wird festlich geschmückt und am gesegneten Osterfeuer entzündet. In einer Prozession wird die Osterkerze anschließend in den dunklen Kirchenraum getragen, begleitet von einem Gesang: „Lumen Christi. – Deo gratias.“ Die Mitfeiernden entzünden währenddessen ihre mitgebrachten Kerzen an ihrer Flamme. Schließlich wird die Osterkerze auf den Osterleuchter gestellt und das Exsultet, das Jubellied auf die Großtaten Gottes, durch den Diakon oder Priester gesungen. Die Osterkerze ist der symbolische Mittelpunkt der Osternacht. Sie brennt während der gesamten Osterzeit bis Pfingsten und soll danach am Taufort aufgestellt werden, wo sie vor allem bei Tauffeiern brennt.

Warum ist dieses Lichtritual, dessen Gestalt sich ab dem 10. Jahrhundert verfestigte, auch heute noch so eindrücklich, wo wir doch so viel mehr über die Eigenschaften des Lichtes wissen? Ein Erklärungsansatz liegt sicherlich in der Wahrnehmung des Urphänomens „Licht“ in Form einer Flamme. Ein weiterer aber betrifft auch die Semantik des Begriffs: Licht ist wandelbar und lässt sich als Begriff oder Metapher nicht auf irgendeinen bestimmten „Gegenstand der Erfahrung“ beziehen, sondern steht im Kantischen Verständnis für die „Totalität möglicher Erfahrung“. Einen solchen „Platzhalter“ kennen Philosophen als „Grenzbegriff“ und Literaturwissenschaftler als „absolute Metapher“. Er steht der Erfahrung offen, lässt sich aber nicht vollständig auf einen Begriff bringen. Dieser „Platzhalter“ wird nun als Metapher mit der Unfassbarkeit des dreifaltigen Gottes und insbesondere mit dem auferstandenen Christus verknüpft.

Das führt zwangsläufig zu unauflöslichen Ambivalenzen: Der Begriff bzw. das flüchtige Medium „Licht“ wird in dieser Übertragung zu einem sich immer wieder materialisierenden Platzhalter der Beschreibung und Vergegenwärtigung des historischen Jesus von Nazaret sowie des sich in Wirken und Glauben der Kirche offenbarenden eucharistischen Christus.

Symbol göttlicher Gegenwart

Die christliche Kulturgeschichte vergleicht das Wirken Gottes häufig mit der Wirkweise von Licht. Durch die im frühen Christentum aufgekommene und bis heute überlieferte Lichtmetaphorik öffnet sich dem Gläubigen eine Zeichendimension für die Wahrnehmung und Gestaltung von Licht, die den Schöpfungen von Poesie, Musik und Kunst offenstand und offensteht.

Die im christlichen Glauben angelegte Unverfügbarkeit und Allgegenwart Gottes fordert vor allem Freiheit und Respekt gegenüber Andersdenkenden. Christliche Mystiker haben sich im Wandel der Geschichte auf verschiedenen Wegen der Unfassbarkeit des dreifaltigen Gottes zu nähern gewusst. Verneinend, dialektisch, empirisch haben sie den Bereich des Unsagbaren betend, meditierend und handelnd ausgefüllt, ohne das Widerständige, Ungeheure und Schöpferische an Gott aufgeben zu wollen. Für viele von ihnen war Licht auf ihrem mystischen Glaubensweg Gleichnis und Symbol für die göttliche Gegenwart.

Auch heute sind die Geheimnisse des Lichtes nicht entschlüsselt. Neue wissenschaftliche Antworten werfen weitere Fragen nach Ursprung und Beschaffenheit dieses Phänomens auf. Gerade deshalb fordert heute die Auseinandersetzung mit Licht wieder heraus: Was ist das für ein Ding, das sich auf so vielfältige Art zeigen kann, das als Photon gleichzeitig Materie und Elementarwelle ist?

Die Auseinandersetzung mit Licht als lebensspendender Metapher unserer spirituellen Vorstellungen stellt uns angesichts unseres heutigen Wissens über die Singularität des Ursprungs wieder vor die Frage, inwieweit Licht nicht nur symbolische, sondern auch immer wieder ursprüngliche und göttliche Offenbarung ist. Das heißt: Jede Lichtmanifestation oder Lichtmetapher bietet dann auch einen Anlass für das Erfassen des jeweils spirituellen Lichtes. Dabei ist es prinzipiell egal, ob es sich um die farbigen Fenster einer gotischen Kirche oder um den Mondstrahl handelt, der verstohlen durch eine Maueröffnung fällt: Immer bietet sich die Möglichkeit zur Durchdringung, zum Sehen des auch spirituell ursprünglichen Lichtes.

Innenraum der Überwasserkirche, Münster, bei natürlichem Licht
Licht besitzt die Fähigkeit, einen Innenraum zu transformieren. Von Buntglasfenstern gebrochenes Tageslicht erschafft eine völlig andere Atmosphäre als …

Spiegel-Erfahrungen

Christliche Mystikerinnen und Mystiker haben die Frage, inwieweit Licht nicht nur symbolische, sondern auch ursprüngliche und göttliche Offenbarung sei, immer wieder mit einer Licht- und Spiegelmetaphorik beantwortet. Sie vertrauten auf eine Glaubenswahrheit, die wir nur „im Spiegel der Seele“ erkennen können. Jeder Spiegel, jeder Sinn ist dabei von Menschen gemacht und erdacht. Die Sprache der Spiritualität ist zwangsläufig metaphorisch, symbolisch – und poetisch! Der erste Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth bringt den tiefsten Spiegelgrund in der Metapher vom rätselhaften Antlitz Gottes als Beziehungserfahrung zur Sprache: „Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin. Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe“ (1 Kor 13,12–13; vgl. Zweite Lesung am 4. Sonntag im Jahreskreis C).

Spirituelle Erfahrungen sind demnach Spiegel-Erfahrungen – das Licht ist ein „Licht vom Licht“. Es wird durch jene gespiegelt, die ihrem Gewissen und ihrer Seelenwahrheit nachgehen und sie als lebendige Spiegel in ihrem Leben und Erleben zulassen und reflektieren. Christinnen und Christen sind von der Hoffnung getragen, dass aus der gemeinsamen Begegnung und liebenden Teilhabe bereits in der communio ein erfüllteres, ruhigeres Leben und – im Sinne der christlichen Verheißung – eine vollständige Offenbarung des Angesichts Gottes mit der Herrlichkeit eines Lebens in Fülle erwächst.

Diese Vorstellung des durch ein geistiges Licht in der Welt wirkenden Gottes – eine der altkirchlichen Bezeichnungen für die Taufe war „Erleuchtung“ – findet sich am Beginn des Großen Glaubensbekenntnisses (vgl. GL 586,2). Noch poetischer formuliert diesen Gedanken im vierten Jahrhundert der Mailänder Bischof und Kirchenvater Ambrosius (339–397), auf den zahlreiche Hymnen (u. a. das Te Deum) zurückgehen:

„Du Abglanz von des Vaters Pracht,
du bringst aus Licht das Licht hervor,
du Licht vom Licht, des Lichtes Quell,
du Tag, der unsern Tag erhellt.“
(Hymnus der Laudes am Montag im Jahreskreis, 1. Str.)

Innenraum der Überwasserkirche, Münster, bei künstlichem Licht
… ein ausgeklügeltes Kunstlichtkonzept, mit dem Akzente gesetzt werden können.
(Beide Fotos: Kirche Liebfrauen-Überwasser, Münster; © Ubbenhorst & Partner, Münster)

Licht als Bedeutungsträger

„Natürliches und künstliches Licht sind Bestandteile der baukünstlerischen Ausformung des Kirchenraumes. Vor allem natürliches Licht ist Bedeutungsträger und ist für die liturgischen Orte, besonders für den Altarbereich, ein wichtiges Gestaltungselement. Es sollte sehr differenziert und den liturgischen Erfordernissen gemäß im Kirchenraum zur Wirkung kommen.“
Leitlinien für den Bau und die Ausgestaltung gottesdienstlicher Räume (6. Auflage 2002), S. 37

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