Die Corona-Pandemie hat auch Kirchen und Religionsgemeinschaften vielfältig herausgefordert. U. a. mussten (und müssen) zentrale Fragen im Blick auf öffentliche Gottesdienste bearbeitet und teilweise unter Hochdruck beantwortet werden. Empirische Untersuchungen können vielleicht dazu beitragen, fundierte Handlungsoptionen zu finden.
Vor diesem Hintergrund hat im Juni/Juli 2020 in der Diözese Rottenburg-Stuttgart unter Federführung des Tübinger Lehrstuhls für Liturgiewissenschaft eine Onlineumfrage zur liturgischen Praxis unter Pandemie-Bedingungen stattgefunden. Die Ergebnisse, die sich aus den 400 auszuwertenden Datensätzen herausfiltern lassen, sind natürlich nicht repräsentativ, lassen aber Grundtendenzen erkennen.
Hinsichtlich der Teilnehmenden ist besonders bemerkenswert, dass 30 % Ehrenamtliche waren, obwohl primär die pastoralen und weitere kirchliche Berufsgruppen angesprochen wurden. Von Mitgliedern des kirchlichen Dienstes machen die Pfarrer mit 22 % den größten Anteil aus; jeweils zwischen 9 und 12 % angesiedelt sind Gemeindereferent/innen bzw. -assistent/innen, Pastoralreferent/innen bzw. -assistent/innen und Mesner/innen, gefolgt von Diakonen und Kirchenmusiker/ -innen mit 6 bzw. 5 %. Je 50 % der Teilnehmenden haben sich dem weiblichen bzw. männlichen Geschlecht zugeordnet. – Zu drei Themenfeldern, die von grundsätzlicher Bedeutung sind, seien in dieser und in der nächsten Ausgabe von Gottesdienst einige Ergebnisse vorgestellt und jeweils Richtungsanzeigen für weitergehende Diskussionen formuliert.
Eucharistiefeiern nur in Präsenz des Priesters:
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Ja |
Nein |
k. A. |
an Sonn- und Feiertagen
… gestreamt
… und mit wenigen physisch Anwesenden, ggf. gestreamt:
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120
79
144
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220
261
196
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60
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an Wochentagen
… gestreamt
… und mit wenigen physisch Anwesenden, ggf. gestreamt:
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135
17
65
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205
323
275
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60
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Wort-Gottes-Feiern, Tagzeitenliturgien, Andachten,
Rosenkranzgebete u. ä. in Präsenz nur des/der
Vorstehers/in, gestreamt
… und zusätzlich mit wenigen weiteren physisch
Anwesenden
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37
73
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303
267
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60
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Das Zu- und Miteinander der liturgischen Akteure/innen
Während der Phase strenger Einschränkungen ist der Krise häufig mit Eucharistiefeiern begegnet worden, die ein Priester allein oder nur mit wenigen weiteren Gläubigen in physischer Kopräsenz gefeiert hat. Andere Formen hatten quantitativ kein so großes Gewicht.
Die Freitextantworten lassen erkennen, dass dabei für einige Priester der Gedanke des „stellvertretenden Betens und Feierns“ eine wichtige Rolle gespielt hat. In den folgenden Antwortzitaten wurde nur bei offensichtlichen Tippfehlern korrigierend eingegriffen: „es war intensiv, die hl. Messe stellvertretend für viele andere zu feiern“; „die gemeinsame und stellvertretende Feier durch die Mitglieder des Teams war eine Bereicherung im Sinne einer echten Gebetsgemeinschaft (über die gute Arbeitsgemeinschaft hinaus)“. Manche Antworten dokumentieren zudem, dass für manche Priester die Form der heiligen Messe sine populo keineswegs defizitär war, ja im Gegenteil: „das eigene spirituelle Erleben der Messe ohne Volk ist viel intensiver. Und mir wurde klar, dass die Messe ein Dienst für alle anvertrauten Menschen ist, nicht nur für die, die körperlich mitfeiern“; „Die private Feier der Messe war für mich wie Exerzitien und bedeutete für mich auch eine Vertiefung in ihren rituellen Vollzügen“.
Aus anderen Antworten ist hingegen zu entnehmen, dass mit den Einschränkungen anders umgegangen bzw. die einzeln zelebrierte Messe nicht positiv gesehen wurde: „Wir haben bewusst keine Gottesdienste während des Shutdowns gefeiert. Im Juni haben wir sonntagsmorgens die Kirche für 3 Stunden mit Programm geöffnet. Im Juli gehen wir zu geregelten sonntäglichen und Werktagsmessen über“, so ein Priester; in einem anderen Fall wurde konsequent für das Format „Hausgebet“ geworben und festgestellt: „auf keinen Fall Online-Messen und Messen ohne Gemeinde – das ist unsäglich“; „In den Gottesdiensten, die während der strengeren Zeit lediglich aus Heiligen Messen bestanden, waren nur die Priester und Diakone des Pastoralteams sichtbar. Die nicht geweihten hauptamtlichen Mitarbeiter kamen bei diesen Gottesdiensten nicht vor!“
In einer Antwort wird betont, dass die gottesdienstlichen Feiern der klösterlichen Gemeinschaft „bewusste Glaubensakte“ gesetzt hätten, „zum Teil auch mit Psalmen der Vesper vom Tag – immer aber verbunden mit einer Mahlfeier mit selbst gebackenem Brot in Erinnerung an Jesu Mahl. Ich bin nicht nur Pastoralreferentin (Dipl.- Theol.), sondern auch Ordensschwester und alle bei uns im Konvent fanden die eigenen Gottesdienste (die nicht nur ich als Pastorale vorbereitete!) intensiver als die Messen. Wir werden ein Mal die Woche statt zur Messe zu gehen, eine eigene Feier gestalten und feiern, da wir sie lieb gewonnen haben und es als Intensivierung unseres Glaubens empfinden. Warum? Weil die stereotypen Einführungen in die Messe etc. manchmal nicht mehr zum Aushalten sind. Dazu die veraltete Sprache der Gebete, immer nur Opfertheologie, ... wir ersehnen uns Anderes!“ Der Trend, der sich an einer solchen Antwort zeigt, bildet sich in folgendem Ergebnis ab: Für 51 % trifft die Aussage, in ihrem religiösen Leben hätten andere liturgische Formen (jenseits der Eucharistiefeier) sehr an Bedeutung gewonnen, genau/eher zu.
Daneben sind Beobachtungen zu stellen, wie versucht wurde, „physisch nicht anwesende Teilnehmende einzubeziehen“. Hier ergibt sich ein eher gemischtes Bild: Zum Beispiel wurde vielfach Partizipation durch die gottesdienstliche Aufnahme zugesandter oder in der Kirche hinterlegter Texte bzw. Bilder o. ä. eröffnet; allerdings sagen 55 %, das sei gar nicht/selten geschehen. Manchmal ist es sogar zu entsprechenden Live-Einspielungen gekommen, wobei 68 % angeben, so etwas sei nie durchgeführt worden. Etwas über 60 % haben regelmäßig/oft über die Zeiten von Gottesdiensten informiert und eingeladen, diese geistlich mitzutragen. Zudem wurde von 43 % regelmäßig/oft Material zur Verfügung gestellt, um medial übertragene Gottesdienste gut mitfeiern zu können. Aber 58 % geben auch an, sie hätten nie/ selten während eines übertragenen Gottesdienstes nicht-physisch Anwesende direkt angesprochen.
Vielfach wurde Material zur Gestaltung häuslicher Gottesdienste verteilt: 52 % haben regelmäßig/oft selbst entwickeltes/ selbst zusammengestelltes Material weitergegeben, 55 % (auch) Materialien anderer Anbieter verteilt. Insgesamt wurde offensichtlich darauf geachtet, verschiedene Zielgruppen zu berücksichtigen, nicht nur inhaltlich, sondern auch hinsichtlich der Kommunikationswege – nur eine Beispielantwort: „Das Pastoralteam hat einen täglichen Blog auf unserer Website gestartet (Beteiligung der Gemeinden über Kommentare, Fürbitteingaben möglich; wurden später in den nichtöffentlichen Livestreammessen einbezogen). Daraus haben wir für die Kartage in Zusammenarbeit mit einer örtlichen, caritativen Stiftung gedruckte Faltkarten mit Impulsen erstellt, die postalisch an die über 80jährigen verschickt wurden.“
Ausführlicher als es hier möglich ist, wäre der Bereich rein digitaler Formate u. ä. zu würdigen. Grundsätzlich ist danach zu unterscheiden, ob diese auf diachrone oder synchrone Nutzung hin konzipiert wurden; im letzteren Fall wurde oft die Motivation genannt, ein möglichst direktes Erleben (gottesdienstlicher) Gemeinschaft zu ermöglichen (dies gilt ebenso für Ansätze, die eine zeitliche Synchronisation analoger Praktiken angestrebt haben) – ein Beispiel: „Zoom-Andacht: Fürbittengebet gemeinsam, Lesung verteilt, verteilt gebeteter Psalm, Hintergrundbild anpassen, Lieder eingeblendet zum für sich Mitsingen“. Solche und ähnliche Ergebnisse zeigen, dass auch durch das Ringen um eine angemessene digitale Praxis „die Bedeutung der gemeinsamen Gottesdienstfeier (mit der Gemeinde) intensiver bewusst geworden ist“, eine Aussage, von der 64 % ausdrücklich sagen, sie treffe genau bzw. eher zu.
Die skizzierten Beobachtungen weisen darauf hin, dass Diskurse zu den ekklesiologischen Implikationen gottesdienstlicher Ästhetiken intensiviert werden müssen, wobei die Orientierung v. a. an Legitimitätsfragen sicher nicht ausreicht, da grundlegende theologische wie für individuelle und gemeindliche Spiritualitäten hochgradig relevante Aspekte berührt sind. Die Pandemiesituation fordert noch einmal verstärkt zu Klärungen dazu heraus, warum welche Formen des einen liturgischen Heiligungsdienstes, den das ganze Gottesvolk trägt, genau wie zueinander im Verhältnis stehen bzw. stehen sollen, und was das für das Zusammenwirken liturgischer Akteure/innen unter konkreten Rahmenbedingungen heißt. Entscheidend dürfte die allseitige Bereitschaft sein, (scheinbare) Plausibilitäten zumindest ehrlich zu prüfen und traditionell bedeutsame bzw. manchmal zu wenig präsente Kategorien wie die der Stellvertretung, die Unterscheidung verschiedener Messtypen – missa publica und missa specialis –, die Versammlungskategorie etc. neu durchzubuchstabieren.
Weitere Ergebnisse der Umfrage werden in der kommenden Ausgabe dieser Zeitschrift vorgestellt.