Mehr Vielfalt wagen

Heute leiten Laien vermehrt liturgische Feiern. Dies bringt Herausforderungen an die Gestaltung der liturgischen Gewänder mit sich. Welche Grenzen und Perspektiven zur Weiterentwicklung gibt es, und eie sehen die textilen Suchbewegungen aus?

Beauftragte Begräbnisleiter/innen in liturgischen Gewändern
Gelungene modische Kreation: Begräbnisleitende im Bistum Essen tragen eine helle bzw. anthrazitfarbene Tunika mit violetten Elementen.© Bistum Essen/Nicole Cronauge

Die kirchlichen Entwicklungen im deutschen Sprachraum haben es mit sich gebracht, dass Laien – sowohl ehren- als auch hauptamtlich – die Leitung zahlreicher gottesdienstlicher Feiern übernehmen (Wort-Gottes-Feiern, ökumenische Gottesdienste, Begräbnisfeiern, zunehmend auch Tauffeiern). Die liturgischen Ordnungen für diese Gottesdienste sehen mittlerweile liturgische Gewänder für die Leitung und die übrigen Dienste als Standard vor (vgl. Wort-Gottes-Feier. Werkbuch für die Sonn- und Festtage, hg. v. den Liturgischen Instituten Deutschlands und Österreichs, Trier 2004/2019, S. 22). Im liturgischen Buch für die Wort-Gottes-Feier in der Schweiz ist die Mantelalbe oder eine Tunika für den Leitungsdienst sowie für den Lektorendienst vorgesehen (vgl. Die Wort-Gottes- Feier am Sonntag, hg. v. Liturgischen Institut in Freiburg i. A. der Bischöfe der deutschsprachigen Schweiz, Freiburg [Schweiz] 2015/Regensburg 32021, S. 20). Die Bestimmungen im Manuale für die Begräbnisfeier sind dagegen ungenügend, weil sie letztlich unbestimmt von der „ortsüblichen Kleidung“ sprechen und vorrangig die vestimentäre Unterscheidung zu den geweihten Amtsträgern betonen (vgl. Die kirchliche Begräbnisfeier. Manuale, Trier 2012/2018, S. 21).

Die dezidierte Ausweitung der liturgischen Kleidung auf weitere Dienste, besonders auf den Lektorendienst, steigert gerade in der Wort-Gottes-Feier die Bedeutung des Verkündigungsaktes, der in dieser Feier im Zentrum steht. Zudem dienen diese Regelungen auch der Rollenklärung und -kommunikation, und liturgische Kleidung kann helfen, einen eigenen Stil der Gottesdienstleitung für Laien zu entwickeln. Wenn die Gottesdienstleitung gerade nicht an exponierter, teils auch isolierter Stelle zu sehen ist, sondern neben ihr weitere liturgische Dienste ihre Plätze haben, dann werden andere, ergänzende Bilder von Leitung vermittelt.

Grenzen und Perspektiven der Weiterentwicklung

Die Albe ist für Gottesdienste, in denen Laien liturgische Dienste inkl. der Leitung übernehmen, theologisch sehr naheliegend, weil sie als textiles Symbol auf die Taufberufung als Grundlage des gottesdienstlichen Feierns sowie als Legitimation zur Ausübung der entsprechenden liturgischen Dienste verweist. Mit Blick auf die Praxis muss allerdings konstatiert werden, dass sie recht schnell an Grenzen kommt. So fehlen Möglichkeiten, die verschiedenen Dienste zu kennzeichnen und voneinander zu unterscheiden (etwa Leitungsdienst – Lektorendienst). Liturgische Farben als wesentliches Element der gottesdienstlichen Kommunikation können nur sehr begrenzt eingespielt werden. Bei Frauen sind hierfür eher noch Tücher oder Schals möglich; auch Modelle von Alben mit austauschbaren farbigen Manschetten oder Krägen finden sich im Programm der Paramentenhändler. Ein farbiges Zingulum ist ästhetisch hingegen keine sinnvolle Lösung.

Auch fehlen Alternativen, die den unterschiedlichen Grad an Festlichkeit der Feier ausdrücken können, ebenso Kleidungselemente für schlechtes Wetter, z. B. auf dem Friedhof.

Textile Suchbewegungen

Zur Steigerung der Qualität gottesdienstlicher Feiern und mit Blick auf neue liturgische Aufgaben (z. B. Taufbeauftragung in manchen Bistümern) ist eine textile Suchbewegung anzusetzen, die sich im Spannungsfeld von Adaption der kirchlichen Tradition als auch künstlerisch-kreativer Neuschöpfung bewegt.

Ein Versuch, die oben genannten Leerstellen zu füllen, stellt das Skapulier dar, das auch unter der Bezeichnung „Lektorenkragen“ firmiert. Es hat dabei in der Regel die Form eines ca. 10 cm breiten Stoffkreises, der auf der Vorderseite auf Brusthöhe spitz zusammenläuft und auf der Rückseite rund geschwungen ist. Es ist in den verschiedenen liturgischen Farben erhältlich, und auf die Oberfläche können Symbole und Zeichen gestickt werden. Allerdings ist das Skapulier in dieser Form nicht unproblematisch, denn es weist in Stoffbeschaffenheit und Breite des Stoffstreifens eine große Nähe zur Stola auf. Durch diese textile Assoziation erscheint der Dienst, der mit dem Skapulier ausgestattet ist, eher als vom Amtspriestertum her abgeleitet. Es entsteht der Eindruck, die Ausübung des Dienstes benötige noch einer weiteren Legitimation als der Taufe. Auch ein so genannter „liturgischer Streifen“, ein schmaler knöchellanger Stoffstreifen, der über eine Schulter gelegt wird, birgt eine Bruchstelle in sich, weil er wie eine „halbe Stola“ wirkt bzw. Ähnlichkeit mit der orthodoxen Diakonenstola aufweist.

Eine konstruktive Lösung besteht hingegen in einer anderen Form des Skapuliers, wie sie z. B. in der anglikanischen Kirche anzutreffen ist: Ein schulterbreiter Überwurf bis zu den Knien bzw. knöchellang, der farblich und symbolisch entsprechend ausgestaltet werden kann. Auch wenn diese Form ursprünglich aus dem Alltagsleben der Mönche stammt, war sie in der Geschichte kein klerikales Amtszeichen und kann daher neu interpretiert werden. Ähnlich verhält es sich mit dem Pluviale (auch Rauch- oder Vespermantel), das – wie der lateinische Name sagt – zunächst als Regenmantel entstanden war und einen pragmatischen Nutzungsgrund hatte. Es spricht nichts dagegen, dass auch Laien diese Form von liturgischer Kleidung tragen.

Beim Rückgriff in die Kleiderkammer der kirchlichen Tradition und ihrer Weiterentwicklung liegen die Herausforderungen vor allem darin, Assoziationen zu Amtsträgern und deren Insignien zu vermeiden. Ein barocker Brokat-Rauchmantel wirkt einfach klerikaler als ein schlichtes, in modernen Farben und Formen gestaltetes Pluviale.

Mitunter sind aber auch klare textile Absetzungen möglich und sinnvoll, um das Eigenständige der Ausübung liturgischer Dienste auf der Basis von Taufe und Firmung zum Ausdruck zu bringen. Ein gelungenes Beispiel einer Neukreation ist das liturgische Gewand für ehrenamtliche Begräbnisleitende im Bistum Essen: eine helle bzw. anthrazitfarbene Tunika mit einem dünnen eingenähten Streifen sowie einem Überwurfkragen in violetter Farbe (siehe Foto oben). Diese Gestaltung wird nicht nur der liturgischen Situation einer Begräbnisfeier gerecht, sondern zeichnet die Trägerinnen und Träger auch als Mitglieder einer besonderen Peergroup aus. Die Gewänder kommunizieren damit ihre Rolle und klären sie zugleich.

Verständigung ist notwendig

Liturgische Kleidung ist – genauso wie weltliche Mode – einer steten Entwicklung unterworfen, wenn auch in deutlich langsamerem Tempo. Der reiche Schatz aus der vestimentären Tradition der Kirche sowie künstlerische Neuschöpfungen können ein fruchtbares ästhetisches Potenzial für die Gestaltung einer pluralen und ausdifferenzierten Praxis der Liturgie entwickeln, in der es normal ist, dass Männer und Frauen liturgische Dienste auch mit Gewand ausüben.

Was dabei von der weltlichen Mode gelernt werden kann: Kleidung wird nicht von alleine zur „Mode“, sondern durch Verständigung. Es sind Foren und Plattformen notwendig, in denen diskutiert, experimentiert und reflektiert werden kann. Bei der Suche nach angemessener liturgischer Kleidung ist sowohl von der Liturgie her als auch von den Personen, die sie tragen, und ihrer Verortung innerhalb der Gemeinschaft her zu denken.

Veränderungen und neue Formen müssen dabei diskursiv entwickelt, gemeinsam codiert und transparent eingeführt werden. Die Liturgie selbst kennt mit dem Ritus der Einkleidung ein Element, das die Rollenzuschreibung, die über das liturgische Gewand transportiert wird, auf performative Weise der Feiergemeinschaft vor Augen führt und entsprechend klärt.

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