Als Antiphon wird heute meist der den Psalm begleitende Kehrvers verstanden, der vor und nach dem Psalm, gelegentlich auch nach jeder Strophe von allen gemeinsam angestimmt wird. Die historische Entwicklung ist nicht ganz nachvollziehbar, aber vermutlich ist die Antiphon im heutigen Gebrauch aus dem solistischen Vortrag des Psalms entstanden, der von Antwortrufen des Volkes gerahmt und unterbrochen wurde. Ursprünglich war Antiphon aber die Bezeichnung für den gegenchörig gesungenen Psalm, d.h. zwei Chöre oder Teile eines Chors singen seine Vers(gruppen) abwechselnd (Gesang im Wechselvortrag).
Im Stundengebet spielen die Antiphonen zu den Psalmen und Cantica eine sehr wichtige Rolle als einführende Hilfen zum Verständnis und zur messianischen und christologischen Einordnung der Psalmen oder der Cantica (vgl. Allgemeine Einführung in das Stundengebet 109: "Meist sind es Antiphonen, die, dem jeweiligen Psalm entnommen, diesen Aspekt hervorheben"). Hinter der musikalischen Ausgestaltung der Antiphonen im gregorianischen Choral zu Einzug (Introitus), Gabenbereitung (Offertorium) und Kommunion (Communio) wurde aber der damit eigentlich gerahmten Psalm stark verkürzt (Introitus) oder konnte sogar ganz verschwinden (Offertorium und Communio), was zum Gebrauch der Bezeichnung Antiphon auch für Chorstücke ohne Psalm wie z.B. die Marianischen Antiphonen (Salve Regina, Alma Redemptoris Mater, Ave Regina caelorum, Regina caeli u. a.) führte.
Ihre deutende Funktion im Stundengebet (Allgemeine Einführung in das Stundengebet 110: "Die Tradition der lateinischen Kirche kennt drei Hilfsmittel, um die Psalmen zu verstehen und sie zu christlichen Gebeten zu machen: die Überschriften, die Psalmorationen und vor allem die Antiphonen") macht die Antiphonen auch zu einem wesentlichen Bestandteil des persönlichen Gebetes außerhalb des gemeinsamen Vollzugs der Liturgie (Allgemeine Einführung in das Stundengebet 113).