Der lateinische Begriff oratio meint eine feierliche, öffentlich vorgetragene Rede, z. B. bei einer antiken Gerichtsverhandlung. In dieser Bedeutung wurde der Begriff von den Christen übernommen. Die heutige (katholische) Liturgie kennt vier regelmäßige feierliche, öffentlich vorgetragene Gebete des Vorstehers: Tagesgebet, Gabengebet, Schlussgebet und - freigestellt - das Segensgebet über das Volk (oratio super populum) vor dem Schlusssegen. Im Lateinischen zählen außerdem die Fürbitten der Gläubigen (oratio fidelium) und das Vaterunser (oratio dominica, „Gebet des Herrn“) zu den Orationen. Die Vorsteher-Orationen folgen einem festen Aufbau:
- Gebetseinladung („Lasset uns beten“)
- Stille zum persönlichen Gebet
- Anrede Gottes (oder Christi)
- gegebenenfalls Anamnese (Erinnerung an Gottes früheres Heilshandeln)
- Epiklese (Bitte um Fortführung dieses Heilshandelns an uns - wenn keine Anamnese voranging, bittet die Epiklese „einfach so“ um Gottes Heilshandeln)
- Schlussformel („durch Christus, unseren Herrn“)
- zustimmendes „Amen“ der Gemeinde.
Bei den Fürbitten ist dieser Aufbau nur am Karfreitag - hier aber in besonders feierlicher Weise - erhalten geblieben. Weiterhin sind Orationen inhaltlich sehr knapp, da sie das vorangegangene stille Gebet der Gläubigen fortführen und als „Abschlusssatz“ (R. Berger) beenden. Deshalb ist nach der Gebetseinladung die im Messbuch vorgeschriebene kurze Stille einzuhalten, um den Gläubigen ihr Gebet zu ermöglichen, das die Grundlage der Oration bildet.
Christoph Neuert, Trier