Die Friedensverträge zum Ersten Weltkrieg und ihre Folgen
Die Friedensverträge zum Ersten Weltkrieg (Saint-Germain, September 1919 und Trianon, Juni 1920) zementierten die Neuaufteilung. Der Untergang des österreichischen Vielvölkerstaates führte allerdings nicht etwa zur Stabilisierung der Lage in Südosteuropa, sondern verschärfte sie langfristig noch. Die zahlreichen neu entstandenen Staaten vereinigten in ihren Territorien die unterschiedlichsten Völker. Das jeweilige »Staatsvolk«, also der kulturelle und politische Träger des Gemeinwesens, z. B. die Ungarn, die Tschechen, die Rumänen oder die Polen in ihren Staaten, war auf ›seinem‹ Territorium nicht allein, sondern musste es mit Angehörigen anderer Völker teilen. Diese Situation hatte ihre Ursachen in den uneinheitlichen Siedlungsbedingungen. Viele Volksgruppen waren weit verstreut, und so gab es fast in jedem Staat ethnische Minderheiten. Ein Sonderfall war der neue »Vielvölkerstaat« Jugoslawien: Hier gab es das »Staatsvolk« als solches gar nicht, sondern eine Mischung unterschiedlicher ethnischer Gruppen, die das Gemeinwesen gemeinsam trugen (Serben, Kroaten, Slowenen, Albaner, Bosnier u. a.).
Die ethnischen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa
Die Situation auf dem Balkan, die zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs geführt hatte, wurde auch durch die neue Friedensordnung nicht entschärft. Da die meisten Staaten ihren ethnischen Minderheiten keine Gleichberechtigung zugestanden, kam es zwangsläufig zu ernsten Konflikten und blutigen Auseinandersetzungen. So manche ›Rechnung‹ blieb weiterhin off en und sollte im Zweiten Weltkrieg dann gleich mehrfach ›beglichen‹ werden. Immer standen dabei die Minderheiten im Mittelpunkt. Die ethnische Situation in Mittelost- und Osteuropa glich – wie schon vor 1914 – auch nach dem Ersten Weltkrieg weiterhin einem Pulverfass und trug auch zum Beginn des Zweiten Weltkriegs bei, wenn auch unter völlig veränderten Bedingungen und Gewichtungen.
Quelle: DER GROSSE PLOETZ ATLAS ZUR WELTGESCHICHTE, 2009, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht