Warum sind wir nicht längst gleichberechtigt?
Die Gleichberechtigung in der Politik stagniert. Zu wenige Frauen gehen in die Politik oder sind an Entscheidungsprozessen beteiligt. Kommunikationsformen, digitale Hetze, Sexismus, Ellenbogenmentalität, eine intransparente Ämtervergabe und intersektionale Diskriminierung sowie die fehlende Vereinbarkeit von Mandat und Sorgearbeit schrecken ab.
Mandatsträgerinnen und engagierte Frauen analysieren in diesem Sammelband die Probleme und teilen ihre Erfahrungen. Die Autorinnen formulieren eine politische Agenda für mehr Gleichberechtigung und zeigen, wie es anders geht.
Interview mit den Herausgeberinnen
Im Buch finden sich Beiträge ganz unterschiedlicher Autorinnen zu verschiedenen Themen. Wie kam diese Auswahl zustande?
»Es war uns besonders wichtig, partei- und altersübergreifend Frauen in der Politik zu Wort kommen zu lassen und dabei Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Es berichten haupt- und ehrenamtliche Politikerinnen: Frauen, die neu in der Politik sind, und solche, die die deutsche Politik seit Jahren prägen – Frauen ohne Mandat ebenso wie Frauen mit Mandat. Wir haben besonderen Wert auf die Zusammenarbeit mit Frauen aus Ost- und Westdeutschland gelegt und auf Überparteilichkeit geachtet, um möglichst viele verschiedene Perspektiven einzubeziehen. Nur durch vielfältige Perspektiven lässt sich ein umfassender Blick auf die Herausforderungen gewinnen. Deshalb ist die Auswahl der Autorinnen divers gestaltet, und marginalisierten Gruppen wie Frauen mit Migrationsbiografie, Trans-Frauen oder jungen Frauen wird Gehör verschafft.«
Denkt ihr, dass sich die Themen, die im Buch angesprochen werden, auch in anderen Lebensbereichen finden lassen?
»Ja, die Themen und Probleme, die es in der Politik gibt, lassen sich auch auf andere Lebensbereiche übertragen. Es geht schließlich um Macht, Frauen in Führungspositionen und die Gleichstellung der Geschlechter. Wo Menschen verschiedener Herkunft, Geschlechter und Weltanschauungen zusammenkommen, entstehen Spannungen. Die Beiträge zu Themen wie Vereinbarkeit und Sorgeverantwortung, Rassismus, Age Bias und Klassismus sind daher in der Gesellschaft allgegenwärtig. Doch die Politik ist eine öffentliche Instanz und betrifft uns alle. Politiker*innen müssen sich häufig rechtfertigen und erhalten selten die Möglichkeit, konstruktiv auf die alltäglichen Hürden einzugehen, denen viele Menschen gegenüberstehen, die sich politisch engagieren möchten.«
Welche Role Models habt ihr in eurem Leben?
»Unsere Role Models sind all jene mutigen Frauen in Deutschland, Frankreich, dem Iran und überall dort, wo Frauen beschließen, es besser zu machen und bestehende Strukturen nicht hinzunehmen. Frauen, die Geschichte geschrieben haben, indem sie vor 100 Jahren oder auch heute die ersten in etwas waren und damit anderen als Vorbild dienen, ebnen den Weg für Frauen, die ihnen noch folgen werden. Unsere Role Models sind aber auch jene weniger sichtbaren Frauen, die oft auf kommunaler Ebene täglich kämpfen und großartige politische Arbeit leisten – oft ungesehen und unbeachtet.«
Wer sollte euer Buch auf jeden Fall lesen?
»Alle Menschen, denen die Demokratie am Herzen liegt, sollten dieses Buch lesen. Die Autorinnen beschreiben ungeschönt, welche Probleme das System der repräsentativen Demokratie noch hat. Es zeigt auf, welche Maßnahmen und Lösungen notwendig sind, um Hürden zu überwinden, die viele davon abhalten, sich in die Politik zu begeben, in der Politik zu bleiben oder überhaupt Politik gestalten zu können. Daher ist dieses Buch ein wichtiger Beitrag zur politischen Bildungsarbeit: Welche Strukturen existieren? Worüber wird sonst nicht gesprochen? Welche Erfahrungen sind zu teilen und einzuordnen? Das Buch eignet sich für alle, die sich tiefer mit dem Thema auseinandersetzen wollen und bereits sensibilisiert sind, genauso wie für diejenigen, die bislang wenig Berührungspunkte haben und durch das Buch ermutigt werden sollen, sich einzubringen.«
Gibt es Themen, die in diesem Buch vielleicht noch nicht vorkommen, die aber eine eigene Publikation verdient hätten?
»Ein Thema, das im Buch zwar vorkommt, dem wir aber gerne mehr Raum widmen würden, ist die mentale Gesundheit in der Politik. Die regelmäßigen Schlagzeilen über Politiker*innen, die aus gesundheitlichen Gründen pausieren oder sich zurückziehen, verdeutlichen, dass es sich um ein weitreichenderes Problem handelt, das nicht nur individuelle Schicksale betrifft, sondern das politische System insgesamt. Die Gesellschaft ist noch nicht ausreichend dafür sensibilisiert, sollte sich aber dringend mit der Frage beschäftigen, was Politikmachen gerade auch im digitalen Zeitalter bedeutet: Hate Speech, die Entgrenzung von Raum und Zeit, 60-Stunden-Wochen, lange Reise- und Sitzungszeiten, fehlende Work-Life-Balance und die ständige Erreichbarkeit und Sichtbarkeit. Eine umfassendere Auseinandersetzung mit diesem Thema könnte wichtige Erkenntnisse und Lösungen für die Zukunft bieten.«