Die internationale Gemeinschaft müsse die Not der Vertriebenen lindern, forderte der Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) Anfang Oktober in St. Gallen. Es brauche eine Verhandlungslösung in dem anhaltenden Konflikt, der auch das christliche Erbe in Berg-Karabach gefährde. Menschen und nicht politische Interessen müssten im Mittelpunkt der Entscheidungen stehen, mahnten die Bischöfe.
Nach der Rückeroberung Bergkarabachs durch Aserbaidschan sind bisher mehr als 100.000 ethnische Armeniern aus der völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehörenden Region geflohen.
Notwendig sei ein "Dialog zwischen Aserbaidschan und Armenien, in der Hoffnung, dass die Gespräche zwischen den Parteien mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft zu einem dauerhaften Abkommen führen werden, das der humanitären Krise ein Ende setzen wird", erneuerten die europäischen Bischöfe einen entsprechenden Aufruf von Papst Franziskus. Wie in der Erklärung weiter festgehalten wurde, hoffe der CCEE außerdem, "dass die internationalen Gremien eine Verhandlungslösung finden, die die Sicherheit der Vertriebenen und ihr Recht auf Rückkehr in die Länder garantiert, in denen sie mit ihren Traditionen aufgewachsen sind; dass die internationalen Resolutionen, die den freien Zugang zum Lachin-Korridor forderten, respektiert werden".
Ausdrücklich forderte der Rat der Europäischen Bischofskonferenzen zum Schutz des christlichen Erbes in Berg-Karabach auf. Die Bischöfe verwiesen dazu auf eine Resolution des EU-Parlaments aus 2022, die die Zerstörung des Kulturerbes in Berg-Karabach anprangerte. In der Resolution wurde die Zahl von 1.456 armenischen Denkmälern genannt, die nach dem Waffenstillstand im 2020 unter die Kontrolle Aserbaidschans gelangten und während des Krieges beschädigt wurden.
Zuvor drängte Papst Franziskus auf Dialog zwischen den verfeindeten Parteien in Bergkarabach. "Ich rufe erneut zum Dialog zwischen Aserbaidschan und Armenien auf", sagte der Papst beim Angelus-Gebet am 1. September auf dem Petersplatz. "Ich hoffe, dass die Gespräche zwischen den Parteien mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft zu einem dauerhaften Abkommen führen, das der humanitären Krise ein Ende setzt." Weiter rief das katholische Kirchenoberhaupt zu Frieden in der Ukraine und allen von Kriegen betroffenen Ländern auf.
Auch das deutsche Auswärtige Amt warnt vor dem Vorgehen Aserbaidschans: "Wir müssen befürchten, dass sich die allermeisten Bewohner in den kommenden Tagen anschließen, was auf ein fast menschenleeres Bergkarabach hinauslaufen könnte", sagte Robin Wagener, Koordinator für die Zusammenarbeit mit dem Südkaukasus, dem digitalen Medienhaus Table Media Ende September.
Aserbaidschan habe "trotz laufender Friedensverhandlungen mit Armenien" auf die militärische Karte gesetzt und Tatsachen geschaffen, sagte der Grünen-Politiker Wagener. "Viele Bewohner von Berg-Karabach sehen keine Zukunft in Sicherheit mehr für sich in ihrer Heimat."
Außenministerin Annalena Baerbock arbeite "zusammen mit unseren Partnern daran, dass endlich Beobachter nach Berg-Karabach entsendet werden können". Es sei gut, dass die Regierung Aserbaidschans signalisiert habe, dass UN-Mitarbeiter bald vor Ort über die Lage berichten könnten. Aserbaidschan sei zwar ein bedeutender Energiekorridor Richtung Europa, so Wagener weiter: "Gleichzeitig müssen wir Baku aber klarmachen, dass eine weitere militärische Eskalation nicht folgenlos bleiben würde." Deutschland unterstütze die demokratisch gewählte Regierung Armeniens. "Destabilisierungsversuche von wo auch immer sind inakzeptabel", ergänzte Wagener.
EU verdoppelt humanitäre Hilfe
Die EU kündigte eine Verdoppelung ihrer humanitären Hilfe für Armenien an. Zusätzlich zu den schon gewährten 5,2 Millionen Euro sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen weitere 5,25 Millionen zu. Weiter versprach sie dem traditionell mit Russland verbündeten Kaukasus-Staat Unterstützung beim Infrastruktur-Ausbau. Ein entsprechender Wirtschafts- und Investitionsplan sehe Investments im Gesamtumfang von bis zu 2,6 Milliarden Euro vor. Außerdem wolle die EU für vertrauensbildende Maßnahmen und eine "ausgewogene" Medienberichterstattung zusätzliche 800.000 Euro bereitstellen, so von der Leyen.
Auf Initiative der EU sollte am Rande des Gipfels der Europäischen Politischen Gemeinschaft im spanischen Granada ein Treffen zwischen Aserbaidschans Präsident Ilcham Alijew und dem armenischen Regierungschef Nikol Paschinjan stattfinden. Alijew entschied sich laut aserbaidschanischen Medien aber gegen eine Teilnahme.
Armenische Bischöfe mit dramatischen Warnungen
In Etschmiadzin, dem Sitz der Armenisch-apostolischen Kirche in der Nähe von Jerewan, kamen unterdessen alle Bischöfe der Kirche zusammen, um weiter über die angespannte Lage nach der Entvölkerung Berg-Karabachs zu diskutieren. In einer veröffentlichten gemeinsamen Erklärung warnten die Bischöfe einmal mehr davor, dass sie angesichts der Aggression Aserbaidschans und der Tatenlosigkeit der internationalen Staatengemeinschaft bzw. vermeintlich verbündeter Staaten auch die Existenz Armeniens in Gefahr sehen.
In der Erklärung wird wörtlich von "völkermörderischen Aktionen" Aserbaidschans, der "Zwangsumsiedlung" der Bevölkerung von Berg-Karabach, von "ungeheuerlichen Verbrechen" und einer "antiarmenischen" Politik Aserbaidschans gesprochen. Die Reaktionen der internationalen Gemeinschaft auf die in Artsach begangenen Verbrechen seien zudem mehr als enttäuschend, hielten die Bischöfe fest. Sie warnten auch einmal mehr vor den negativen Folgen der Politik der aktuellen armenischen Regierung, die sie für zu Aserbaidschan-freundlich ansehen und die das armenische Volk spalte. Armenien bzw. das armenische Volk dürfe nicht zum Gegenstand gefährlicher politischer Experimente bzw. Abenteuer werden, warnten die Bischöfe. Was sie darunter genau verstehen, führten sie in der Erklärung allerdings nicht aus.
Die Bischöfe dankten schließlich allen, die bisher dazu beigetragen hätten, die mehr als 100.000 aus Berg-Karabach Geflüchteten zu versorgen und zu unterstützen. Sie riefen zugleich dazu auf, in dieser Hilfe nicht nachzulassen.
Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) appelliert an die Europäische Union, sich der "türkisch-aserbaidschanischen Aggression" entgegenzustellen. "Diese droht Armenien, den ersten christlichen Staat der Welt, ganz von der Landkarte zu fegen", erklärte die IGFM mit Blick auf den EU-Gipfel in Granada. Seit dem Jahr 301 ist das Christentum in Armenien Staatsreligion; es ist damit das älteste christliche Land. Das "türkisch-aserbaidschanische Bündnis" betreibe seit drei Jahrzehnten eine zerstörerische Politik gegen Armenien. "Gemeinsam haben sie es wirtschaftlich ausbluten lassen. Den Völkermord an den Armeniern 1915 leugnen sie bis heute", so die Menschenrechtler. Schulkinder in Aserbaidschan würden schon von Beginn an über die angeblich "barbarischen armenischen Feinde" indoktriniert. All dies zeige eine "systematische Vernichtungspolitik" gegenüber Armenien, beklagte die IGFM. Zuvor war der Konflikt auch Thema des EU-Gipfels. Vertreter der EU hatten mit Armenien eine Rückkehrmöglichkeit für die vertriebenen Karabach-Armenier gefordert. Die Bewohner der Enklave Berg-Karabach in Aserbaidschan müssten frei und ohne Auflagen in ihre Häuser zurückkehren können und Achtung ihrer Geschichte, Kultur und Menschenrechte erfahren, so ein Kommunique.
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