Bischof Bätzing in BerlinSie müssen mit uns rechnen

Vom Missbrauch bis zum Mitgliederschwund - die katholische Kirche steht massiv in der Defensive. Dennoch will sie die Gesellschaft weiter mitgestalten, wie beim Jahresempfang des Katholischen Büros in der Bundeshauptstadt Berlin deutlich wurde.

Bischof Georg Bätzing spricht beim Michaelsempfang in Berlin
© Stefan Orth

Vor zahlreichen Vertretern aus Religion, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft – darunter Kanzler Olaf Scholz (SPD) - betonte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing: "Sie, liebe Anwesende, dürfen und müssen weiterhin mit uns rechnen." Sein selbstbewusstes Auftreten war vielleicht auch eine Reaktion auf das Treffen im vergangenen Jahr. Damals blieb die gesamte erste Reihe der Bundesminister und Verfassungsorgane leer. Diesmal kam hingegen wieder der Regierungschef – sein erster öffentlicher Auftritt mit schwarzer Augenklappe nach dem Joggingunfall. Das sorgte für zusätzliche mediale Aufmerksamkeit.

Zwar fehlten auch in diesem Jahr die Bundesminister. Allerdings war mit den Staatssekretären die entscheidende Arbeitsebene präsent. Auffällig war die große Zahl an Abgeordneten der Unionsparteien, angeführt vom Fraktionsvorsitzenden und CDU-Chef Friedrich Merz.

Von kirchlicher Seite kamen gleich mehrere Erzbischöfe und Bischöfe. Den Festvortrag hielt Erzbischof Noel Treanor, Apostolischer Nuntius bei der Europäischen Union, über die "Herausforderungen der Demokratie in Zeiten der Digitalität". Sie stand ganz im Zeichen des Weltauftrags der Kirche, auf den auch Bätzing in seiner Eingangsrede den Schwerpunkt legte. Dabei verschwieg der Limburger Bischof nicht die internen Schwierigkeiten der Kirche, sondern verlangte nüchternen Realismus.

Bätzing zeichnete aber das Bild einer Kirche "im Umbruch" nicht "im Abbruch"; einer Kirche, die vor der Herausforderung einer pluralen Gesellschaft steht, in der die traditionelle Glaubensweitergabe unterbrochen ist. Angesichts einer Vielfalt von Sinnangeboten und einer Ausgangslage von "Freiheit und bewusster individueller Entscheidung" müsse die Kirche neue Wege suchen, um den Menschen zur Seite zu stehen. "In der krisenhaften Stunde zeigt sich in aller Klarheit die Notwendigkeit, die Botschaft von Jesus Christus als Retter der Welt neu zu verkünden", so das Fazit des Bischofs. Deshalb wolle sich die Kirche – auch in Zeiten der Krise – nicht zurückziehen: "Wir tragen Verantwortung für unsere Gesellschaft."

So wolle sich die Kirche auch in Zukunft daran messen lassen, dass sie "für den Schutz des Lebens – besonders zu Beginn und am Ende" eintritt. Und weiter: "Wir lassen uns daran messen, dass wir die Würde und die Rechte derer verteidigen, die am Rande der Gesellschaft stehen: sozial Benachteiligte, Kranke, Menschen mit Beeinträchtigung, Flüchtlinge. Und wir lassen uns schließlich daran messen, dass wir in den Konflikten unserer Zeit dafür einstehen, Gerechtigkeit, Frieden, Menschenrechte und die Bewahrung der Schöpfung immer mehr zu Leitbildern unserer Gesellschaft und auch des internationalen Zusammenlebens zu entwickeln."

Auf einzelne politische Themen, in denen die Ampel-Agenda nicht gerade kirchlichen Vorstellungen folgt, ging Bätzing indes nicht ein. Ein Konfliktfeld ist etwa die sogenannte "größte Familienrechtsreform seit Jahrzehnten" von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP).Ebenso wenig wie auf diesen Punkt ging er auf die Kommission zur Zukunft des Paragrafen 218, der Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft ein. Auch die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirche fand keine Erwähnung.

Die gesellschaftspolitische Dimension kirchlichen Wirkens kam bei Bätzing nicht zuletzt bei der immer drängenderen Frage nach dem Zusammenhalt der Gesellschaft zum Tragen: "Ich denke, die Kirchen können – trotz aller internen Schwierigkeiten, mit denen sie kämpfen – mit ihren Mahnungen, Erinnerungen und praktischen Ideen der Nächstenliebe auch in Zukunft dazu beitragen, diese Gesellschaft zusammenzuhalten und den Einfluss menschenfeindlicher Ideologien zu begrenzen."

Für Papst-Botschafter Treanor steht die Kirche in der Verantwortung, Extremismus, Populismus und jeglicher Form von Menschenfeindlichkeit entgegenzutreten. In vielen Ländern fänden derzeit extremistische oder populistische Bewegungen fruchtbaren Boden, "die aus dem Protest das Herzstück ihrer politischen Botschaft" machten und kein Interesse am Gemeinwohl hätten, beklagte der Apostolische Nuntius.

Als besondere Herausforderung sieht er die digitale Verbreitung von Fehlinformationen. Sie führe zum Vertrauensverlust in Staat und Demokratie. Politik lebe von vitalen Diskussionen und unterschiedlichen Bewertungen. Sie verliere aber den Boden unter den Füßen, "wenn wir uns nicht mehr auf die Fakten einigen können, auf deren Basis unsere Repräsentanten ihre Entscheidungen treffen müssen". Sorgen bereite ihm zusätzlich, dass "nicht nur die Feinde der Demokratie, sondern auch ihre Freunde" inzwischen Behauptungen als Fakten präsentierten, den Wettbewerb der besten Argumente in Teilen durch Stimmungsmache ersetzten und die Kunst des demokratischen Kompromisses aufgeben zugunsten von Verweigerungs- oder Blockadehaltungen. So zumindest sein Eindruck auf europäischer Ebene.

Mit Blick auf die aktuelle Politik kritisierte Treanor den im Juni nach vielen Jahren gefundenen Asyl-Kompromiss auf EU-Ebene. Der lasse befürchten, "dass sich in den dort angedachten Lagern an den EU-Außengrenzen menschenwürdige und rechtsstaatliche Zustände nicht gewährleisten lassen". Ein weiteres Thema: der wachsende Einfluss der künstlichen Intelligenz. "Die physische wie geistig-moralische Existenz des Einzelnen darf nicht auf die Rolle eines Faktors in einem Algorithmus reduziert werden, der auf privaten Profit oder sogar das vermeintliche Wohl der Gesellschaft ausgerichtet ist", mahnte der Erzbischof. Dies müsse auch dann beachtet werden, wenn die Vorschriften auf EU-Ebene harmonisiert würden.

Schließlich erinnerte Treanor am Ende an die Worte von Papst Franziskus aus der Enzyklika "Fratelli tutti": "Die Kirche kann und darf beim Aufbau einer besseren Welt nicht abseitsstehen, noch darf sie es versäumen, die seelischen Kräfte zu wecken, die das ganze Leben der Gesellschaft bereichern können."

Von Christoph Scholz
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