Dabei befeuert gerade aktuelle die Schwäche der Regierungsparteien den Zwist in der Union. Denn je wahrscheinlicher eine Machtübernahme wird, desto dringlicher wird in der Union die Frage nach dem Kanzler. Und es gibt viele, die es dem natürlichen Kandidaten im CDU-Vorsitz, Friedrich Merz, nicht zutrauen oder eigene Ambitionen verfolgen. Denn schon die Wahl zum Partei-Vorsitzenden war eine nicht unumstrittene Entscheidung über den Kurs der CDU nach Merkel.
Außerdem spielt die Generationenfrage eine Rolle. Merz galt zwar als die ewige Alternative zu Merkel, gehört damit aber auch zu ihrer Generation. Dabei hat Merz wiederum bei seinem Versuch einer Integration der Volkspartei nicht zuletzt die eigene Klientel der Konservativen enttäuscht. Ihnen hatte er eine Halbierung des AfD-Zuspruchs versprochen, durch eine rechtskonservative Profilschärfung, sozusagen ein Zurück in die Zukunft vor der Amtszeit von Angela Merkel.
Den innerparteilichen Ausgleich gegenüber dem liberaleren Lager hatte er zunächst durch Generalsekretär Mario Czaja signalisiert, mit dem er Paul Ziemiak ersetzte. Immerhin stimmten 90 Prozent der Parteitagsdelegierten seinerzeit für Czaja. Doch der in Berlin erfolgreiche Berliner Sozialpolitiker erschien ihm angesichts der AfD-Zuwachses offenbar zu zahm. Nun soll es der konservativere Wirtschaftsexperte Carsten Linnemann richten, der auch für das Grundsatzprogramm zuständig ist.
Der pflegt eine aggressivere, alarmistische Rhetorik und scheut auch nicht populistische Aussagen wie jene von den "Schwimmbad-Rowdys". Für einen strammeren Kurs bei der Migration steht wiederum der Erste Parlamentarische Geschäftsführer Thorsten Frei, der sich für ein Ende des Individualrechts auf Asyl aussprach.
Seit Merz an der Spitze der Christdemokraten steht, wurden nicht nur der Fraktionsvorsitzende im Bundestag und zwei Generalsekretäre ausgetauscht, sondern auch zwei Büroleiter, ein Bundesgeschäftsführer und eine Kommunikationsleiterin. Überhaupt findet ein hoher Durchlauf in der Parteizentrale statt. Dass die stellvertretende Generalsekretärin Christina Stumpp derweil für die breite Öffentlichkeit kaum ins Gewicht fiel, wirft wiederum ein Licht auf den Umgang von Merz mit Frauen in der eigenen Partei.
Nach Äußerungen zu Migrantensöhnen als "kleinen Paschas" oder Ukraine-Flüchtlingen als Sozialtouristen brachte schließlich die Qualifizierung der CDU als "Alternative für Deutschland mit Substanz" für die Vertreter der Mitte das Fass zum Überlaufen. Hinzu kam die medial verkürzte Feststellung, dass der Hauptfeind (in der Regierung) die Grünen seien. Doch selbst ohne diese Verkürzung, musste dies jene CDU-Granden in den Ländern düpieren, die mit den Grünen erfolgreich koalieren.
Die schärfste Kritik übte der ehemalige saarländischen Ministerpräsident Tobias Hans. Er stellte im "Stern" öffentlich die Eignung von Merz als Kanzlerkandidat infrage. Die Aussagen des Parteichefs seien "der Abschied vom Kurs der Mitte, mit dem die CDU fast 20 jahrelang erfolgreich regiert hat", so Hans.
"Politischer Feind" der CDU sei die AfD. "Gerade in schwierigen Zeiten ist es wichtig, dass der Spitzenkandidat einer Partei Regierungserfahrung mitbringt - und Fingerspitzengefühl bei schwierigen Fragen." Selbst der Chef der Jungen Union, Johannes Winkel, sah im Deutschlandfunk, Defizite bei der Kommunikation und zumindest Anlass zu Missverständnissen.
Wie zu erwarten brachte sich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder von der Schwester CSU pünktlich erneut in Stellung. Er muss allerdings zunächst die Landtagswahlen im Oktober erfolgreich bestehen. Im September 2024 wird dann in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gewählt. Verständlich, dass Söder vor der K-Entscheidung "die Ergebnisse dieser Landtagswahlen sehr, sehr sensibel und sehr genau analysieren" will und "daraus möglicherweise auch gute Argumente für die Personalfrage finden" möchte. Mutmaßlich werden diese Wahlen nicht auf das Konto von Merz einzahlen.
Als innerparteiliche Alternative steht vor allem der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst bereit. Wie seinerzeit Merkel einen FAZ-Beitrag zum Sturz von Helmut Kohl nutzte, veröffentlichte Wüst dort just zum kleinen Parteitag einen Namensbeitrag mit dem programmatischen Titel: "Das Herz der CDU schlägt in der Mitte".
Der Artikel liest sich immer mehr wie ein Gegenentwurf zu Stil und Richtung von Merz - wobei man in sachpolitischen Fragen gar nicht weit auseinanderliegen muss. Außerdem unterscheidet sich das persönliche Profil einer verbindlichen, unaufgeregten Sachlichkeit und Offenheit deutlich von Merz. Vor allem aber kann Wüst auf ein breites Netzwerk einer neue CDU-Generation zurückgreifen, die an die Macht will.
Dennoch hat keiner in der Partei derzeit ein wirkliches Interesse an einem Wechsel der Parteispitze, schon mit Blick auf die Landtagswahlen. Und man weiß um die Fähigkeiten von Merz. Er hat die Fraktion im Bundestag geeint, besitzt großes rhetorisches Talent und bindet einen bestimmten Flügel - der allerdings gestutzt wird, wenn er zu kräftig schlägt - wie sich in den vergangenen Wochen zeigte.
Für die innerparteilichen Kritiker wäre es der Idealfall, wenn Merz die Legislatur in seinem Amt ohne zu starke Rechtsausschläge zu Ende führt, um dann rechtzeitig einer neuen Generation Platz zu machen. Doch gibt es in der Politik nicht die "Schönheit der reinen Lehre", wie es Wüst in seinem Artikel auf den Punkt brachte.
Von Christoph Scholz
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