Erst nach Salazars Diktatur suchte das Land Anschluss an EuropaVor 50 Jahren „Nelkenrevolution“ in Portugal

Das Regime des Estado Novo passte in die Zeit der Diktatoren: erst erfolgreich und bewundert, später repressiv und erstarrt. Es war höchste Zeit, dass sich was drehte, als die Putschisten Nelken ins Gewehr gesteckt bekamen.

Flagge Portugals
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Die Hafenstadt Lissabon steht für Internationalität. Von hier sandten Portugals Könige Schiffe zur Schaffung eines Weltreiches aus. Hier wurde 2007 der Vertrag von Lissabon unterzeichnet, der die Europäische Union demokratischer und transparenter machte. Doch über Jahrzehnte, die gar nicht allzu weit zurückliegen, war das Land im äußersten Südwesten Europas isoliert, rückständig und autoritär geführt. Erst vor 50 Jahren, mit der „Nelkenrevolution" vom 25. April 1974, begann Portugal einen wirtschaftlichen und demokratischen Nachholprozess, der bis heute andauert.

Vor dem großen Sturz des Regimes stand ein eher kleiner Sturz: Im Sommer 1968 brach ein maroder Bürostuhl unter dem damals 79-jährigen Sparfanatiker Antonio de Oliveira Salazar zusammen; der Diktator schlug mit dem Kopf auf den Steinboden und erlitt ein Blutgerinnsel im Gehirn. Sein Vertrauter Marcelo Caetano übernahm die Regierungsgeschäfte.

Als sich Salazar wider Erwarten erholte, wagte niemand mehr, dem menschenscheuen Professor, der vier Jahrzehnte nur für sein Amt gelebt hatte, zu sagen, dass er seine vermeintlichen Kabinettssitzungen als Geisterveranstaltungen einberief. Am Ende war dem eisernen Wirtschaftsexperten gar nicht mehr bewusst, ob er noch regierte. 1970 starb Portugals Diktator; und das Land taumelte weiter im Niedergang.

Was hatte dem tief religiösen Wirtschaftsexperten, verhinderten Priesterkandidaten und eingefleischten Junggesellen einst die Fäden des Landes in die Hand gespielt? Ebenfalls eine tiefe Krise des Staates: Die schwache und überlebte Braganca-Dynastie, die seit 1640 Portugals Krone trug, hatte die Regierung Anfang des 20. Jahrhunderts lange schon einer Oligarchie aus Landadel, Großunternehmern und Bankiers abgetreten. Dieses entkräftete spätfeudale System, bis zuletzt gestützt von Kirche und Militär, wurde 1910 von radikalen Republikanern und der Arbeiterschaft beseitigt.

Doch die Erfolge der bürgerlichen Republik blieben aus. In den 16 Jahren seit 1910 verschliss Portugal 50 Regierungen, bis 1926 das Militär putschte. 1928 beauftragte es den noch nicht 40-jährigen Wirtschaftsprofessor und früheren Zentrumspolitiker Salazar, als Finanzminister die extreme ökonomische Misere anzugehen. Der Verfechter der „Schwarzen Null" tat das mit eiserner Hand und zunächst großem Erfolg. Seine Steuer- und Kreditreformen nahmen die gesamte Bevölkerung an die Kandare, verschafften ihm aber auch rasch Respekt und Rückhalt.

Seit 1932 Ministerpräsident, rief Salazar 1933 den „Estado Novo" aus, den Neuen Staat, mit der Maxime: „Nichts gegen die Nation, alles für die Nation!" Sein autoritäres, nationalkonservatives Regime passte durchaus in die Zeit der Mussolinis, Hitlers und Francos. Doch gleichzeitig schaffte es der „Finanzdiktator", das Land aus den Blutmühlen des Zweiten Weltkriegs herauszuhalten.

Das rückwärtsgewandte Gesellschaftsbild des Estado Nuovo und seine repressiven Strukturen waren die Hauptursachen für die baldige Erstarrung Portugals nach dem Zweiten Weltkrieg. Um die „Übel der Moderne" zu vermeiden, setzte der konservative Diktator auf einen ländlichen Ständestaat alter Prägung, der die breite Masse der Bevölkerung in Unwissenheit beließ und mit Pressezensur, Geheimpolizei und Folter jeden Modernismus ausschaltete. Noch in den 1960er Jahren waren rund 30 Prozent der Bevölkerung Analphabeten.

Der Versuch, Portugal in den 60er Jahren auf China-Art wirtschaftlich zu öffnen und gleichzeitig sozial und politisch hermetisch abzuriegeln, misslang. Die erfolglosen, aber enorm kostspieligen Kriege zum Erhalt der portugiesischen Kolonien wie Angola, Mosambik, Kapverden und Osttimor taten ihr Übriges.

Schon seit längerem hatte es vor allem unter den jungen Offizieren gebrodelt. In der Nacht zum 25. April 1974 brach der landesweit gut vorbereitete Putsch los. Das verabredete Zeichen: ein vom Regime verbotenes Protestlied, zweimal hintereinander im Radio gespielt. Die Bevölkerung jubelte den Panzern der aufständischen Truppenteile zu, steckte rote Nelken in die Gewehrläufe: ein internationales Symbol der sozialistischen Arbeiterbewegung. Sie gaben dem Umsturz letztlich seinen Namen.

Der Widerstand brach rasch zusammen, vor allem weil immer mehr Armeemitglieder zu den Aufständischen überliefen. Dennoch starben noch vier Menschen durch Schüsse der Verteidiger. Diktator Caetano versuchte noch, die Regierungsgewalt an einen ihm treuen General zu übergeben; doch es war alles zu spät. Caetano floh nach Madeira und ging von dort ins Exil nach Brasilien.

In den darauffolgenden Tagen wurden politische Gefangene freigelassen, eine Amnestie verkündet; Oppositionelle kehrten aus jahrelangem Exil zurück. Mit der „Nelkenrevolution" vom April 1974 begann Portugals langer Kampf um Anschluss an Europa und die EU, der bis heute andauert. Vor demokratischen Rückschlägen ist das Land im äußersten Südwesten des Kontinents dabei nicht gefeit, wie der starke Rechtsruck bei den jüngsten Parlamentswahlen zeigt.

Von Alexander Brüggemann
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