EthikQuo vadis, EKD?

In ethischen Debatten wird gerne von "den Kirchen" gesprochen, wenn es um Positionierungen aus EKD, Bischofskonferenz, Verbänden oder Theologie geht. Die Öffentlichkeit setzte lange diesen gewissen Konsens voraus, der bis vor kurzem auch die "Woche für das Leben" trug. Doch nicht nur mit dieser ökumenischen Initiative scheint Schluss zu sein.

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Mit ihrer von der Regierung erbetenen Stellungnahme zur Reform der Abtreibungsgesetzgebung hat sich der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am 11. Oktober dafür ausgesprochen, "die Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs für bestimmte Konstellationen auch außerhalb des Strafrechts zu formulieren". Damit folgte die EKD einem Wunsch einiger Teile der Ampel-Koalition, die eine "Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin" eingesetzt hat, deren Besetzung von den Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP ausgewählt worden war.

Laut Ansicht der EKD berücksichtigt das Reformvorhaben eine "Fortschreibung einer gesellschaftlichen Entwicklung, die die Perspektive der schwangeren Person und ihre reproduktiven Rechte stärker in den Blick nimmt". Damit stellt die EKD nicht nur gemeinsame ethische Positionen auf dem ökumenischen Parkett in Frage, sondern auch einen bislang angenommenen gesellschaftlichen Konsens, den die Berliner "Fortschrittskoalition" zugunsten "reproduktiver Gesundheit" und eines "Rechts auf Abtreibung" auflösen möchte.

Hierauf rekurriert die EKD-Stellungnahme, wenn sie sich auf "internationales Recht" bezieht: "Folglich wäre es konsequent, im Einklang mit dem Aktionsprogramm der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo (1994) und der UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW), den Schutz des Lebens durch die Stärkung der (Menschen) Rechte der Frau sicherzustellen". Dennoch mahnt die EKD einen inklusiven Diskurs an, der alle Positionen einbeziehen soll, um Polarisierungen zu vermeiden.

In der Sache schlägt die Führung der EKD eine "abgestufte Fristenlösung" vor, die Abtreibungen vor der 22. Schwangerschaftswoche außerhalb der Strafrechts regeln möchte – unter Beibehaltung einer Beratungsregelung. Strafrechtlich sanktioniert bliebe demnach die Spätabtreibung. Die solle nur "in klar definierten Ausnahmefällen zulässig sein", so das EKD-Papier. "Der Schutz des Lebens ist immer auch strafrechtlich bewehrt zu regeln, wenn er nicht leerlaufen soll", hält die EKD fest.

Als "befremdlich wie vordergründig" kritisiert der Bonner Staatsrechtslehrer Christian Hillgruber gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) die Positionierung der EKD gegenüber den Plänen der Ampel-Koalitionäre. Die Stellungnahme lasse "bewusst offen, wo, wenn nicht im Strafrecht, die Regelung über den Schwangerschaftsabbruch getroffen werden soll und wie auf andere Weise als durch das geltende Recht – das eine strafrechtlich bewehrte Beratungspflicht vorsieht und einen Abbruch durch einen Arzt nach Beratung auf die ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis beschränkt – für hinreichenden Schutz des ungeborenen Lebens Sorge getragen werden soll." Damit schwäche die EKD den Schutz des ungeborenen Lebens, der gegenwärtig entschiedener Verteidigung bedürfe, so der Vorsitzende der Juristenvereinigung Lebensrecht.

Solle nicht ein Mindestmaß gebotenen Schutzes unterschritten werden, müsse der Lebensschutz Mindestanforderungen entsprechen: "Hierzu zählt, dass der Schwangerschaftsabbruch für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen wird und demgemäß rechtlich verboten ist", so der evangelische Jurist. Daher könne nicht frei auf den Einsatz des Strafrechts und die davon ausgehende Schutzwirkung verzichtet werden, wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt habe.

Hillgruber weißt darauf hin, dass eine vollständige Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs nur dann in Betracht komme, "wenn gleichzeitig an anderer Stelle der Rechtsordnung hinreichend deutlich ausgesprochen wird, dass Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich verboten sind". Das sei aber bei den Reformplänen der Bundesregierung "nicht einmal ansatzweise erkennbar". Stattdessen werde ein "Recht auf Abtreibung" proklamiert.

Mit Bedauern reagiert der Kölner katholische Sozialethiker Elmar Nass auf den Vorstoß aus der EKD. Dieser setze die ethische Argumentation nicht beim Schutz des Lebens an, um dann nach Wegen zu dessen Umsetzung zu suchen. Ethischer Kompass sei vielmehr der gesuchte Einklang mit "gesellschaftlichen Entwicklungen und neuen Einsichten". Eine Ethik, die "ethische Fragen ergebnisoffen" klären wolle, mache sich überflüssig, so Nass, der an der Kölner Hochschule für Theologie (KHKT) lehrt.

Nass warnt vor einer schiefen Bahn. "Machen wir uns nichts vor: Wenn die EKD jetzt noch an der Beratungspflicht festhält, so ist das nur eine Momentaufnahme, die in absehbarer Zeit dem gesellschaftlichen Konsens ebenso geopfert wird wie jetzt weite Teile der strafrechtlichen Bewertung."

Sorge vor einer Aufkündigung des gesellschaftlichen Konsens zum Schwangerschaftsabbruch macht sich auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Christian Hirte. Gegenüber der KNA sagte er: "Die insbesondere von den Grünen und der SPD angestrebte Aufbrechung des austarierten Abtreibungskompromisses würde unsere Gesellschaft in unverantwortlicher Weise spalten und gerät dabei in Konflikt mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum gebotenen Schutz des ungeborenen Lebens." Zugleich kritisiert der Vorsitzende des katholischen Kardinal-Höffner-Kreises, dass die Mitglieder der eingesetzten "Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin" nur von der Regierungskoalition ausgewählt wurden.

Kritiker der Stellungnahme gibt es aber auch im Rat der EKD selbst. Dessen Mitglied Thomas Rachel lobt zwar die von der EKD geforderte Beibehaltung einer Beratungspflicht. Ansonsten aber distanziert Rachel, zugleich Vorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises (EAK) in der Unions-Bundestagsfraktion, sich von dem Papier. Er besteht darauf, dass die bisherige Rechtslage "eine kluge, ausbalancierte Regelung", die sowohl das Selbstbestimmungsrecht der Frau sichere wie auch das Lebensrecht des ungeborenen Lebens berücksichtige. Diese doppelte Anwaltschaft solle nicht ohne Not beseitigt werden.

Doch weichen auch manche katholischen Vertreter bislang unangefochtene vertretene Positionen beim "Lebensschutz" auf. So sprach sich vor kurze der katholische Moraltheologe Antonio Autiero für die Forschung mit sogenannten überzähligen Embryonen unter bestimmten Umständen aus. Diese könne aus ethisch-christlicher Perspektive geboten sein, führte das Mitglied der Ethik-Kommission für Stammzellforschung (ZES) aus. Nach Ansicht Autieros erhielten Embryonen dann eine "neue Funktion, nämlich in den Dienst der Forschung und letztlich der Menschheit zu treten". Damit werde ihnen eine neue Bestimmung verliehen.

Aufgrund der vertrackten Situation bei ethischen Stellungnahmen der Kirchen schlägt Sozialethiker Nass eine zweistufige katholische Positionierung vor: Die solle einerseits die bisherige Position verdeutlichen, andererseits könnte sie eine gemeinsame christliche Position in Ethik-Debatten ausloten. "Kurzfristig gesehen sollten die schiefen Bahnen, die das EKD-Papier zulasten der Ungeborenen und der Menschen mit Behinderung betritt, in einer eigenen Stellungnahme vermieden werden." Die Sicht der Schwachen und deren Lebensschutz müsse kategorischer Ausgangspunkt einer katholischen Ethik sein, nicht die Anpassung an gesellschaftliche Stimmungen.

Die Bischofskonferenz hat ihre Stellungnahme bislang noch nicht abgegeben. Zu hören ist, dass das Katholische Büro in Berlin über das Vorpreschen der EKD nicht sonderlich erfreut war. Auch Nass spricht sich dafür aus, dass man sich wieder mit der EKD wie auch Freikirchen und orthodoxen Kirchen an einen Tisch setzen und eine "in der Botschaft Jesu fundierte gemeinsame ökumenische Position erarbeiten". Das gelte auch, wenn vorerst durch eine EKD-Stellungnahme eine solche ökumenische Chance verpasst worden sei.

Von Simon Kajan
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