Finanzprozess im Vatikan Angriff als Verteidigung

Erstmals steht im Vatikan ein Kardinal vor Gericht. Angelo Becciu werden fragwürdige Finanzgeschäfte angelastet, die Staatsanwaltschaft fordert sieben Jahre Haft. Seine Verteidiger schalten auf Angriff: absurde Vorwürfe, eine vorverurteilende Anklage und keine echten Beweise – so lassen sich ihre Argumente zusammenfassen.

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Der 75 Jahre alte Kirchenmann steht zusammen mit neun weiteren Angeklagten seit bald zweieinhalb Jahren wegen fragwürdiger Finanzgeschäfte im Vatikan vor Gericht. Vergangene Woche trugen seine Anwälte Fabio Viglione und Maria Concetta Marzo dem Vorsitzenden Richter Giuseppe Pignatone ihre abschließenden Ausführungen vor. Ihre offensichtliche Strategie war dabei der Angriff. Kein gutes Haar ließen Viglione und Marzo am vatikanischen Staatsanwalt Alessandro Diddi.

Dieser habe „moralische Gewissheiten", Andeutungen und Unterstellungen statt handfester Beweise ins Feld geführt. Die Ermittlungen seien von einem „voreingenommenen Blick" geleitet gewesen; es handele sich um einen Gerichtsprozess, „bei dem der Sohn vor dem Vater geboren wurde". Zudem sei versucht worden, aus Becciu ein Monster zu machen. Auch die Medienberichterstattung sei oft skandalisierend und sensationsheischend gewesen.

Vorgetragen wurde das leidenschaftliche Plädoyer kurz vor Ende eines Prozesses, wie ihn der Vatikan noch nie gesehen hat. Zehn Personen und vier Firmen sind angeklagt, wobei vor allem die Anklage gegen Becciu Aufsehen erregte. Mit ihm steht erstmals ein Kardinal im Vatikan vor Gericht; das hat es in der Geschichte der katholischen Kirche noch nie gegeben.

Im Laufe des Prozesses erhob Staatsanwalt Diddi eine ganze Reihe von Anschuldigungen gegen den Sarden, der von Mai 2011 bis Juni 2018 als Substitut die zweithöchste Position im vatikanischen Staatssekretariat innehatte. Die Vorwürfe lassen sich in drei Hauptstränge gliedern: London, Sardinien und Mali.

Dabei wiegen die Vorwürfe rund um die London-Geschäfte des Vatikans am schwersten. In der britischen Finanzmetropole investierte das Staatssekretariat ab 2014 einen hohen Millionenbetrag in eine luxuriöse Geschäftsimmobilie. Die Anteile sicherte sich die zentrale Kirchenleitungsbehörde offenbar über Finanzdienstleister, ohne dabei jedoch irgendein Mitspracherecht zu erwerben. Am Ende soll der Vatikan um die 150 Millionen Euro verloren haben. Ein Minusgeschäft, für das Becciu laut Anklage eine Mitverantwortung trägt.

Bei den Strängen „Sardinien" und „Mali" geht es vergleichsweise um Kleckerbeträge. So stehen 125.000 Euro in Frage, die die Caritas von Ozieri auf Sardinien sowie eine mit ihr verbundene Sozialgesellschaft erhielten, während einer von Beccius Brüdern Vorsitzender ebenjener Caritas war. Weitere 575.000 Euro überließ das Staatssekretariat einer vermeintlichen geopolitischen Expertin, die der Kardinal mit dem Vatikan in Kontakt gebracht hatte. Die Frau sollte mit dem Geld eine entführte Ordensfrau in Mali befreien, gab es stattdessen aber offenbar für Luxusgüter aus.

Punkt für Punkt nahmen Beccius Verteidiger die Vorwürfe durch die Mangel. Die Mittel für die angebliche Expertin? Der Kardinal sei hier selbst betrogen worden. Die Überweisungen in Richtung seiner Heimat Sardinien? Das Geld sei zu rein wohltätigen Zwecken geflossen. Der London-Deal? Hier hätten andere die Verantwortung getragen, vor allem der frühere Verwaltungsleiter im Staatssekretariat, Alberto Perlasca. Der Kardinal selbst habe nur eine administrative Position innegehabt und sei mitnichten der „Regisseur" von Finanzgeschäften gewesen. Er habe seinem Untergebenen vertraut.

Perlasca aber zählt im Prozess nicht zu den Angeklagten. Stattdessen tritt er als wichtiger Zeuge der Staatsanwaltschaft sowie als geschädigte Partei auf. Eine Tatsache, die auf Unverständnis bei den Becciu-Verteidigern stieß. „Wenn es eine Hitparade der vor Gericht am meisten genannten Namen gäbe, stünde er (Perlasca) an erster Stelle", spottete Viglione während seiner mehrstündigen Ausführungen. Immer wieder schlug der Anwalt mit der Faust auf den Tisch, um seinen Argumenten Nachdruck zu verleihen, die er stellenweise regelrecht in den Raum schrie.

Von der Unschuld seines Mandanten zeigte er sich überzeugt. Alle Vorwürfe gegen Becciu seien widerlegt worden, nicht einen Cent habe der Kardinal für persönliche Zwecke entwendet. „Unsere Forderung nach einem gerechten Urteil kann nur auf einen Freispruch hinauslaufen." Somit nahm Viglione den nächsten Schritt vorweg: Am 6. Dezember werden die Verteidiger noch einmal das Wort ergreifen und ihre Anträge offiziell vorlegen.

Das Urteil wird dann um den 16. Dezember fallen, wie Richter Pignatone ankündigte. Staatsanwalt Diddi fordert sieben Jahre und drei Monate Haft für Becciu sowie eine Geldstrafe von rund 10.000 Euro wegen Veruntreuung, Amtsmissbrauch und Verleitung zur Falschaussage.

Auch den weiteren neun Angeklagten drohen Haft- und Geldstrafen: 13 Jahre und drei Monate fordert Diddi für einen früheren Beamten im Staatssekretariat; elf Jahre und fünf Monate beziehungsweise sieben Jahre und sechs Monate für zwei Finanzmanager; vier Jahre und acht Monate für die angebliche Geisel-Verhandlerin.

Ob Pignatone den Forderungen des Vatikan-Staatsanwalts folgen wird, ist jedoch ungewiss. Ein Prozessbeobachter, der kaum einen der mittlerweile 80 Verhandlungstage verpasst hat, glaubt maximal an eine Geldstrafe für Becciu. Die Beweislage sei dünn. Und: Papst Franziskus habe kein Interesse daran, seinen ehemaligen Substituten im Gefängnis schmoren zu sehen. Bei dem Prozess gehe es eher darum, der Weltöffentlichkeit zu zeigen, dass Fehlverhalten nicht mehr weggenuschelt wird. Der Vatikan schaut auch ranghohen Kirchenmännern auf die Finger – um dieses Zeichen zu setzen, könnte ein Bußgeld reichen.

Von Anita Hirschbeck
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