Der Vorgang wird auch im Ausland beachtet. In einem Artikel der Jewish Telegraphic Agency auf dem Portal der "Jerusalem Post" finden sich sogar Worte wie Schisma und Spaltung. Worum geht es? In Deutschland hat sich ein neuer Verband für liberale und egalitäre jüdische Gemeinden und Gruppierungen mit dem Namen "Jüdischer Liberal-Egalitärer Verband" (JLEV) gegründet.
Acht der bisher neun Mitglieder gehören zeitgleich noch der Union progressiver Juden in Deutschland (UpJ) an, die seit 1997 große Teile des liberalen Judentums organisiert. Aber nur noch bis Jahresende: Denn die betreffenden Mitglieder wollen nicht mehr zur UpJ gehören.
Hintergrund sind die Vorwürfe gegen Rabbiner Walter Homolka, die ebenfalls international wahrgenommen wurden - und hierzulande das gesamte Judentum erschüttert haben, nicht nur die liberale Strömung. Homolka war lange Vorstandsvorsitzender der UpJ und unter anderem Leiter des Abraham-Geiger-Kollegs in Potsdam, das liberale Rabbinerinnen und Rabbiner ausbildet. Homolka werden Machtmissbrauch und weitere Verfehlungen zur Last gelegt. Er geht gerichtlich gegen die Vorwürfe vor, die Verfahren laufen noch.
Die JLEV-Gründungsmitglieder werfen der UpJ in der Auseinandersetzung um die Aufarbeitung der Vorwürfe und ihrer strukturellen Hintergründe einen "befremdlichen Umgang" vor: "Sie bagatellisierte, relativierte und agierte entsprechend einseitig ohne Berücksichtigung und Beachtung der kritischen Stimmen von Mitgliedsgemeinden."
JLEV firmiert unter dem Dach des Zentralrats der Juden in Deutschland, der Spitzenorganisation der jüdischen Gemeinden. Zwischen dem Zentralrat und der UpJ läuft es nicht immer harmonisch: 2022 etwa gab es Vorwürfe seitens der UpJ, bei denen es auch um eine Erhöhung der Gelder aus dem Staatsvertrag ging. Der Zentralrat betonte damals, er berücksichtige alle Strömungen "gleichermaßen und paritätisch".
Mit einer ähnlichen Zusicherung begleitete Zentralratspräsident Josef Schuster nun auch die Gründung des Verbandes: Dies sei "ein starkes Signal der Vielfalt in der Einheit". Das Judentum sei vielfältig, und der Zentralrat unterstütze alle Strömungen gleichermaßen.
Die UpJ hat rund 5000 Mitglieder bei knapp 95.000 Mitgliedern jüdischer Gemeinden in Deutschland. Die UpJ versteht sich als "aktiver Teil" der World Union for Progressive Judaism (WUPJ).
Die JLEV-Gründungsmitglieder wollen nichts weniger als eine "grundlegende Strukturveränderung", um eine "vertrauenswürdige Vertretung" des liberalen und egalitären Judentums in Deutschland zu schaffen. "Wir arbeiten basisdemokratisch. Es geht uns um eine gute Zukunft", sagt Sarah-Elisa Krasnov, eine von zwei ehrenamtlichen JLEV-Vorsitzenden, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): "Wir möchten das Judentum weiterentwickeln."
Dafür soll es etwa ein Lehrhaus mit Veranstaltungen vor Ort und digitalen Angeboten geben. Geschaffen würden "Orte des Vertrauens, der Solidarität und des Miteinanders", betont der neue Verband. Ziel sei der Aufbau eines "lebendigen, konstruktiven Netzwerks" Eine Mitgliederversammlung ist Krasnov zufolge für Juli geplant.
"Wir haben uns ethische Leitlinien gegeben", fügt sie hinzu. Darin heißt es etwa: "In Auseinandersetzung mit den überlieferten Lehren führen die Mitglieder von JLEV ein jüdisches Leben, das auf die sozialen, kulturellen und ethischen Herausforderungen der Moderne antwortet." Miteinander werde in transparenter und konstruktiver Art und Weise kommuniziert, eine Konzentration von Macht auf einzelne Personen vermieden.
Homolkas Nachfolgerin im UpJ-Vorstandsvorsitz, Irith Michelsohn, misst der Neugründung "keine wesentliche Bedeutung" für die Union zu, wie sie der KNA sagt: "Ich bedauere zwar den sicher noch folgenden Austritt aus der UpJ, unsere Arbeit wird durch den neuen Verband nicht beeinflusst werden." Auch habe die UpJ Vorwürfe gegen Homolka nicht bagatellisiert. Er habe sein Amt bei der UpJ - wie andere Ämter auch - ruhen lassen und sei bei der Vorstandswahl im Dezember nicht wieder angetreten.
Damals habe aus den Mitgliedsgemeinden, die jetzt JLEV gegründet haben, niemand kandidiert, so Michelsohn. Die UpJ erstelle zudem Compliance-Regeln. Solche Standards definieren in Unternehmen und Organisationen angemessenes Verhalten. Insgesamt habe man nicht "vorschnell in die allgemeine Vorverurteilung" Homolkas einstimmen, sondern das Ergebnis der Untersuchungen "mit der rechtsstaatlich gebotenen Zurückhaltung" abwarten wollen.
Von Leticia Witte
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